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Bejahen, was ohnehin ist

Slavoj Zizeks Verteidigung des christlichen Erbes

von Gerhard Scheit

(konkret 5/2001)

 
Slavoj Zizek wird allerorten als "Philosophie-Entertainer" angepriesen - so auch auf dem Klappentext seines neuen Buchs Das fragile Absolute. Der slowenische Philosoph verspricht antiautoritäre Leichtigkeit im Umgang mit schweren abendländischen Autoritäten; Zirkulation zwischen intellektuellen Milieus, die sonst voneinander abgegrenzt werden - Gedankenaustausch also zwischen Heidegger und Marx, Adorno und Foucault, Cineasten und Leninisten, Christen und Juden etc. Anders als der einschlägige Poststrukturalismus spricht Zizek offenbar auch keine eigene Sprache, keinen Jargon, sondern leiht von überall her seine Begriffe - wenn auch die Bevorzugung der Lacanschen deutlich merkbar ist.
Die Philosophie mit Bewußtheit in eine Talkshow zu überführen, wäre angesichts des heute akademisch approbierten Denkens - das eben kaum mehr als den Schein wahrt, noch keine Talkshow zu sein - vielleicht wirklich begrüßenswert, würde sich nicht umgekehrt des öfteren herausstellen, daß der unterhaltsame Schwadroneur bloß ein raffinierterer Professor, sein Entertainment die zeitgemäße Vermittlungsform des alten dogmatischen Denkens ist.
Zizek nun läßt über den dogmatischen Inhalt seiner im Gestus alles relativierenden Rede erst gar keinen Zweifel aufkommen - der Untertitel seines Buchs lautet: "Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen." Gerade diese dogmatische Anliegen verträgt sich ausgezeichnet mit dem undogmatischen Charakter der Vermittlung, die ganz in den avancierten Formen der Reklame aufgeht. Alle Werbung führt zur Ware, alle Wege nach Rom. Aber der größte Umweg, der gewagteste, am weitesten vom Ziel sich entfernende Weg, ist der beste - für die Reklame wie für ihren philosophischen Reflex. Denn er allein vermittelt das Gefühl, jederzeit eben auch ganz woanders hingelangen und hinlangen zu können; vermittelt also das Bewußtsein, Subjekt zu sein, Herr im eigenen (Waren-)Haus. Darum zeigt die Werbung gerne zuerst die Ware des Konkurrenten, um sie sogleich im Gebrauch als mindere hinzustellen - und ohne Tricks geht es dabei nicht ab. Darum beginnt Zizeks Buch mit einer Kritik der Ontologie aus marxistischer Perspektive - und setzt dabei Heidegger und Adorno gleich: als "Versuche, die den irren kapitalistischen Tanz der sich selbst steigernden Produktivität als Ausdruck eines fundamentaleren transzendental-ontologischen Prinzips begreifen ('Wille zur Macht', 'instrumentelle Vernunft')". Unterschlagen wird, daß innerhalb der Kritischen Theorie selbst ein geradezu extrem ausgeprägtes Spannungsverhältnis zwischen dem kritischen Begriff von Tauschabstraktion bzw. Wert im Sinne von Marx und einem an Nietzsche und Schopenhauer orientierten ontologischen Machtbegriff existiert - ein Spannungsverhältnis, in dem durchaus die singuläre Position dieser "Schule" gesehen werden kann. Ihre Gleichsetzung mit Heidegger, bei dem jede Spur einer solchen Spannung fehlt, ermöglicht es Zizek, seinerseits die marxistische Position gegenüber Horkheimer und Adorno einzunehmen - aber das wiederum nur, um diese Position letztlich einer neuerlichen Ontologisierung zu opfern: "Vom üblichen marxistischen Standpunkt aus mystifiziert die Suche nach einem transzendental-ontologischen Prinzip die konkrete sozioökonomische Struktur, die die kapitalistische Produktivität aufrechterhält, andererseits verkennt dieser marxistische Ansatz, daß der kapitalistische Exzeß sich nicht auf der ontischen Ebene einer bestimmten Gesellschaftsorganisation erklären läßt." Auf welcher Ebene läßt er sich aber dann erklären? Auf der ontologischen natürlich, womit wir wieder bei Heidegger wären. Allein dadurch, daß Zizek die Ebene marxistischer Begriffe zur "ontischen" degradiert, also auf das bloß "Seiende" einschränkt, hat er seinen eigenen Standpunkt bereits wieder auf der - je nach dem: "tieferen" oder "höheren" - Ebene des "Seins" bezogen.
Gesellschaftstheoretisch heißt das: Zizek differenziert nur zum Schein, damit am Ende alles in eins fällt: Marxismus und Ontologie; "Realer Sozialismus" und "Kapitalismus"; Vernichtungslager und Gulag. Auch wenn er zwischen der Situation der Opfer des NS-Terrors und der Stalinschen Säuberung zunächst sehr klar unterscheidet, führt das nicht zu einer präzisen Differenzierung beider Staatsformen. Die Moral auch dieser Geschichte entspricht vielmehr ganz dem Dogma von Courtois' Schwarzbuch des Kommunismus: daß die Sowjets schlimmer als die Nazis waren. (Durch fehlerhafte Übersetzung ist übrigens in diesem Zusammenhang von "Moslems" statt von "Muselmännern" die Rede - so hießen diejenigen KZ-Häftlinge, die sich, wie Jean Améry schrieb, aufgegeben hatten und von den anderen aufgegeben wurden.) "Während der passive Moslem durch den physischen Terror lediglich (!) auf seine apathische vegetative Existenz reduziert wird, muß sich das Opfer des Schauprozesse an der Zurschaustellung seiner Degradierung beteiligen und seine Würde aktiv verwirken."
Der "Kommunismus", womit Zizek ganz nach der geläufigen Sprachregelung die Gesellschaft meint, die aus der Oktoberrevolution hervorging, sei im übrigen demselben Produktivitätstrieb gefolgt und damit nichts anderes als Kapitalismus gewesen. Aus diesem Horizont auszubrechen, "ohne in die Falle einer Rückkehr zur eminent vormodernen Vorstellung einer ausgegelichen, (selbst)beherrschten Gesellschaft zu gehen", das ist nun das ontologische Versprechen, das Zizek macht und mit ihm verkauft er die christliche Ware.
Es handelt sich demnach um den frühen Heidegger, zu dem Zizek über marxistische Umwege gelangt, - um die Philosophie von Sein und Zeit - ja, mehr noch um den ganz frühen, den katholischen Heidegger, der Abraham a Sancta Clara hymnisch feierte. Was damals "Entschlossenheit" im "Dasein" und "Heilung" der "Volksnot" hieß, das wird jetzt "Ausbruch" aus dem "kapitalistischen Horizont" oder "authentischer Akt" genannt. Darum die Aversionen gegen Habermas, der doch eher Rationalisierung der deutschen Ontologie betreibt und mit seiner "kommunikativen Vernunft" westliche Kompatibilität herstellt; darum auch eine gewisse, auf den ersten Blick überraschende Oppositionsstellung zu Derrida, der sich für Zizeks Verhältnisse zu sehr an der Heideggerschen "Kehre" orientiert und mittlerweile kritisches Einverständnis mit dem "kapitalistischen Horizont" bekundet (so gerade in seinem Marx-Buch).
Das "radikal Andere" jedoch, das Zizek jenseits dieses Horizonts beschwört, knüpft an den 'antikapitalistischen' Protest der rechten Opposition in der Weimarer Republik an; das "Durchbrechen" jenes "Teufelskreises von Gesetz und Überschreitung", den er dem "Kapitalismus" mit Lacanschen Begriffen zu Grunde legt, ist dem 'nationalrevolutionären' Impuls in der frühen, präfaschistischen Phase deutscher Ontologie nachgebildet - nur daß vom Nationalen auf den ersten Blick nicht viel übrig bleibt. Distanz suchend zu Heideggers postfaschistischer Philosophie, geht Zizek den Weg eben noch weiter zurück - bis zum Katholizismus. Die "frohe Botschaft", die er im Christentum wahrnimmt lautet paradoxerweise, "daß es MÖGLICH IST, DIE GROSSE KETTE DES SEINS ZU ZERREISSEN, die Last der Vergangenheit zu suspendieren, die Stricke durchzuschneiden, die uns an unsere Taten der Vergangenheit fesseln, 'reinen Tisch zu machen' und wieder bei Null anzufangen ..."
Dabei meint Zizek mit dem "subversiven Kern" des Christentums nun nicht - nach einer beliebten Konstruktion - ein reines Urchristentum, das mit der späteren kirchlichen Entwicklung nichts zu tun habe, sondern ganz im Gegenteil: das Christentum als Kirche, einschließlich des heutigen Papstes, der sich doch als Kalter Krieger und Antimarxist einen Namen gemacht hat. Ein bestimmter Katholizismus, der sich bei Althusser noch staatskommunistisch versteckt hielt, wird also wieder selbstbewußt und bekennend: das Neue Testament gilt Zizek als Verkündigung eines "theoretischen Antihumanismus", und er zitiert hierzu die Stelle, wonach die Jünger Jesu sich dadurch auszeichnen, daß sie ihr Leben gering achten (Lukas 14,26). Heideggers Opfer-Philosophie ("Das Opfer ist der Abschied vom Seienden auf dem Gang zur Wahrung der Gunst des Seins") ist damit auf ihren religiösen Ausgangspunkt zurückgeführt, das "Sein" wieder christlich personifiziert.
So wird also der Papst an die Spitze der Seins-Herde zurückberufen. Aber das wirkt unter heutigen Bedingungen nur überzeugend, wenn dafür konkurrierende Waren - unter dem Motto "Der Vergleich macht sie sicher" oder "Weil ich es mir wert bin" - als minderwertig vorgeführt werden: im konkreten Fall ist das etwa der Dalai Lama: Im Gegensatz zu ihm "erinnert uns" nämlich der Papst daran, "daß eine richtige ethische Einstellung ihren Preis HAT - sein hartnäckiges Festhalten an 'alten Werten', seine Mißachtung der 'realistischen' Erfordernisse unserer Zeit, selbst wenn die Gegenargumente offensichtlich zu sein scheinen (...), machen ihn zu einer authentischen ethischen Gestalt."
Aus der Beschwörung des "Ausbruchs" und des "radikal Anderen" springt also wieder die Bejahung dessen heraus, was ohnehin ist: der alte ontologische Trick, den Zizek nur mit Lacanschen Begriffen wiederholt. Wer die Gesetze der kapitalisierten Gesellschaft teilnahmslos hinnimmt, halbwegs akzeptiert, mehr oder wenig kritisch sieht, bestätigt sie; wer sich jedoch ganz und rückhaltlos mit ihnen identifiziert, der ist radikal im Sinne Zizeks und durchbricht den "kapitalistischen Horizont". Das Subjekt sei "nur insoweit wirklich in das Gewebe der Macht" verstrickt, "als es sich nicht völlig damit identifiziert, sondern eine gewisse Distanz dazu wahrt", das "System des Gesetzes" aber werde "genau dadurch unterminiert ... daß man sich vorbehaltlos damit identifiziert."
Das ist nun eine durchaus mögliche Umschreibung des Selbstbewußtseins "nationalsozialistischer Revolution". Zizek bemerkt es selbst: wenn er einen "authentischen Akt" fordert, in dem sich der "Kern der Identität" des Subjekts "neu definieren" könne (analog zur Kreuzigung Christi, die ein "neues Subjekt" hervorbringe), muß er sich zugleich fragen: "... ist dann nicht der Nationalsozialismus ein Akt par excellence?" Von dieser fatalen Nähe sieht er sich aber vom faschismustheoretischen Dogma des traditionellen Marxismus freigesprochen, das er lediglich mit psychoanalytischen Begriffen aufbessert: der Nationalsozialismus habe nämlich den sozialen Gegensatz der Klassen geleugnet oder verschoben, indem er die Ursache der sozialen Gegensätze externalisiert und auf die Figur des Juden projizierte.
"Diese sogenannte 'Nationalsozialistische Revolution' ist der exemplarische Fall einer Pseudo-Veränderung, einer frenetischen Aktivität, bei der sich so viele Dinge veränderten, 'immer etwas geschah', daß sich genau das, was wirklich zählt, NICHT veränderte und im Grunde alles 'beim Alten blieb'."
Demnach wäre also die Vernichtung der europäischen Juden etwas gewesen, das nicht zählt, das nichts veränderte? Für Zizek bilden Nationalsozialismus und Holocaust nur ein Manöver im Klassenkampf, der danach weitergehen konnte wie zuvor. Er bemerkt gar nicht, daß sich allein der psychoanalytische Begriff der Projektion (den Adorno und Horkheimer für den Antisemitismus entdeckt haben) einer solchen Funktionalisierung schlechterdings entzieht - darauf verweisend, daß die Fetischform des Kapitalverhältnisses vollkommen die Politik durchdringen kann. Wer ist denn das Subjekt, das den Klassenkampf vermeidet bzw. verschiebt? Und was bedeutet es für die Konstitution der Klassen, daß diese Verschiebung erfolgreich gelang und nur von außen zerstört werden konnte?
Solche Fragen vermeidet Zizek, der doch sonst in seinem Text nicht genug Fragen stellen kann. Der Nationalsozialismus darf offenkundig nicht als Basis der heutigen Verhältnisse in Betracht kommen, die deutsche Volks- und Projektionsgesellschaft nicht als Ursprung einer Realität, in der sich die Fragen von Moral und Klassenkampf neu stellen. Was das konkret heißt, zeigt sich in der Stellungnahme zu Jugoslawien, zum Judentum und zu Israel. Zizek gehört zu denen, die am westlichen Militärbündnis kritisieren, daß es zu wenig konsequent war im Angriffskrieg gegen Jugoslawien - und fordert im Prinzip nichts anderes, als die Albaner zu bewaffnen. Serbien wiederum wird im Gegensatz zu den anderen ehemaligen Republiken Jugoslawiens ein Nationalismus unterstellt, der von vornherein keinerlei "demokratische Politik" erlaube.
Was Judentum und Shoa betrifft, ist die Konsequenz in jeder Hinsicht weitreichender. Die Apologie des Christentums bedeutet zwangsläufig eine Abwertung des Judentums. Zizek versucht es möglichst dezent zu tun: zunächst betont er als durchaus positiv, daß die jüdische Religion im Gegensatz zur christlichen es ermögliche, Schuld bzw. Schuldgefühle zu vermeiden. Aber da das Judentum damit die "Über-Ich-Dialektik" umgehe, existiere eben nur im Christentum die Möglichkeit eines radikalen Ausbruchs "aus dem Über-Ich-Teufelskreis des Gesetzes und seine Überschreitung durch die Liebe".
Und einen solchen Ausbruch sieht Zizek dann ausgerechnet bei Freud, in seinem späten Buch über Moses: "Indem er sich nicht den bedrängten Juden anschloß und mit ihnen gemeinsam ihr Erbe verteidigte, sondern indem er sein eigenes Volk angriff und versuchte, ihm den wertvollsten Teil des Erbes, die Gründerfigur Moses wegzunehmen", sei es ihm gelungen, "die unbewußte Grundlage des Antisemitismus zu unterminieren". Abgesehen davon, daß Freud "sein Volk" keineswegs angriff, behauptet Zizek damit, daß die unbewußte Grundlage des Antisemitismus im Judentum zu suchen wäre - und das bedeutet in Wahrheit den schärfsten Angriff auf das Judentum.
Es verwundert kaum, daß der Philosoph sich in dieser Hinsicht der Position Martin Walsers annähert: er verdächtigt irgendwelche ungenannten Kräfte, den Holocaust zu instrumentalisieren, indem sie seine "Erhöhung zum eigentlich 'Erhabenen'" betrieben - zu einer "unantastbaren Ausnahme, die sich jedem normalen 'politischen Diskurs'" entziehe. Das kann, so Zizek, "auch ein politischer Akt äußerster zynischer Manipulation sein, eine politische Intervention, mit der eine gewisse Form hierarchischer politischer Verhältnisse legitimiert werden soll." Allein dadurch, daß er von "Zionismus" (als einer besonderen Form des Imperialismus) spricht, weist er den von ihm ausgemachten Repräsentanten der 'Entpolitisierung des Holocaust' - also offenbar den Juden, die er nicht beim Namen nennt - eine bestimmte und bestimmende Rolle in jenen "hierarchischen politischen Verhältnissen" zu: "Ungeachtet der unleugbaren Aufrichtigkeit mancher ihrer Vertreter, ist der 'objektive' ideologisch-politische Gehalt der Entpolitisierung des Holocausts, seine Erhebung zum abgründigen absoluten Bösen ein politischer Akt zwischen den aggressiven Zionisten und den westlichen rechten Antisemiten auf Kosten des HEUTIGEN radikalen politischen Potentials."
Worin Zizek dieses heutige radikale Potential sieht, bleibt einigermaßen offen. Wer sollte den "konformistischen liberalen Halunken", die ihre "scheinheilige Befriedigung in ihrer Verteidigung der bestehenden Ordnung" finden, den Garaus bereiten? Auch der Papst dürfte für Zizek nicht eigentlich der neue Erlöser sein, der dem Potential zum Durchbruch verhelfen könnte, sondern nur eine Art Übergangsfigur, ein Stellvertreter, solange ein neues Subjekt sich nirgends blicken läßt. Denn wie jeder Konsument weiß: die Ware hält das Versprechen der Werbung nicht.

Slavoj Zizek: Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen. Verlag Volk & Welt Berlin 2000. 223 S.
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