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Die Jagd geht weiter

Krise der FPÖ oder ein weiterer Schritt in Richtung demokratischer Volksgemeinschaft?

von Alex Gruber / Tobias Ofenbauer

Abgeändert erschienen in: Jungle World 48/00

 
Seit mehreren Wochen kennt die politische und mediale Öffentlichkeit in Österreich mehr oder weniger nur noch ein Thema: die sogenannte Spitzelaffäre. Durch die Öffentlichmachung eines illegalen Spitzelrings durch den ehemaligen Funktionär Josef Kleindienst ist die FPÖ das erste Mal in jener Position, in die sie sich seit Jahren halluziniert. Zum ersten Mal wird sie "verfolgt", sprich es wurden rechtsstaatliche Untersuchungen wegen Daten- und Amtsmißbrauch gegen führende Parteimitglieder eingeleitet. Jene sollen sich über der FPÖ nahestehende Exekutivbeamte Informationen über (vermeintliche) Gegner der Partei organisiert haben. Das Bekanntwerden dieser Beschuldigungen führte schließlich zur Einrichtung einer Sonderkommision, die im Moment damit befaßt ist, die erhobenen Vorwürfe zu prüfen.
Täglich neu auftauchende Vorwürfe und Hinweise, die Aufnahme von Vorerhebungen gegen das einflußreichste aller einfachen Parteimitglieder Jörg Haider, sowie die mittlerweile durchgesetzte Aufhebung der Immunität diverser Parteigranden – etwa des Wiener Landesparteiobmanns Hilmar Kabas – bringen die Kommentatoren dazu, von einer veritablen Krise der FPÖ zu sprechen. Aktuelle Meinungsumfragen scheinen diesem Befund - bis zu einem gewissen Grad - Recht zu geben. Weiters kursieren Einschätzungen, die das Entscheidungsmonopol Jörg Haiders innerhalb der FPÖ erstmals in Frage gestellt sehen. Es wird unterstellt, daß die FPÖ eine reine Oppositionspartei sei, die aufgrund ihrer "Natur" eine "Protestpartei" zu sein, in einer Regierung zwangsläufig die Zustimmung verlieren, sowie an ihren eigenen Ansprüchen scheitern müsse. Jene Partei, die in der Opposition in den Augen der demokratisch gesinnten Kritiker berechtigterweise auf Mißstände des Systems hingewiesen, dies aber in historisch zu wenig feinfühliger Sprache vorgetragen habe, würde in Wirklichkeit derselben angeprangerten Mittel sich bedienen, womit dem Image der "Saubermänner" endgültig der Boden entzogen sei. Solche Beurteilung verfehlt jedoch das Wesen der österreichischen Volksbewegung des Dritten Weges und ihrer Anhänger bzw. Wähler.
Die FPÖ schweigt keineswegs zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen. Mittlerweile hat sich eine ziemlich einheitliche Abwehrreaktion herausgebildet, die von heftigem Nach-Außen-Schlagen geprägt ist. Darin sind die Freiheitlichen durchaus sich treu geblieben: Schon das frühere, angeblich der ganz normalen Parteienkonkurrenz sowie der Oppositionsrolle geschuldete Auftreten war nicht der "berechtigte Hinweis auf bestehende Mißstände", als das es auch von Kritikern immer gesehen wurde, sondern pathische Projektion der gesellschaftlichen und politischen Krise.
Die FPÖ präsentiert sich dabei als der demokratisch-faschistische Ausweg aus dieser Krise, indem sie mit ihrem permanenten Appell an das Kollektiv auf genau jene Krisenlösung verweist, die der Nationalsozialismus in großem Maßstab vorexerziert hat, und an die sie unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen sich anschmiegen will. Dabei hat sie an sich selber durchgeführt, was sie für Staat und Nation vorsieht: die Transformation in die schlagkräftige, stammesmäßig organisierte Bande. Dabei wird jene Umwandlung von Gesellschaft in Gemeinschaft verfolgt, die auch die nationalsozialistische Herrschaft kennzeichnete.
Während der historische Faschismus die Demokratie beseitigen wollte, da ihr Reglement die Krise der Nation nicht bewältigen und überwinden konnte, erkennt die FPÖ, daß die österreichische Gesellschaft, die auf den Resultaten der nationalsozialistischen Herrschaft aufbaut, den faschistischen Ansprüchen durchaus genügt. Seit Beginn der Zweiten Republik an charakterisierte sich das österreichische politische System durch totale Vereinheitlichung mittels massenhaft verbreiteten und staatlich verwaltetem Rassismus sowie durch unbedingte Ausrichtung des Einzelnen auf das vorgängige Allgemeinwohl bei gleichzeitiger Verteufelung des egoistischen Einzelinteresses. Der Ausnahmezustand, der von den Nationalsozialisten noch gegen die Demokratie durchgesetzt werden mußte, ist in der postfaschistischen Demokratie bereits in diese integriert, weswegen die Transformation, die die FPÖ anstrebt, nicht mehr als Bruch sich darstellt, sondern als konsequenter Endpunkt gesellschaftlicher Entwicklung. Infolgedessen tritt, was historisch die faschistische Kritik an der bzw. die faschistische Bewegung gegen die rechtsstaatlich vermittelte Herrschaft war als konsequente Demokratisierung, als Abbau von Filz, Proporz und Bürokratie und als Herstellung eines direkten, unvermittelten, quasi radikaldemokratischen Verhältnisses von Volk und Führung, von Mob und Elite auf.
Diese Einheit von Volk und Führung stellt sich notwendig über pathische Projektion her. Das Bedürfnis nach solcher bedient Jörg Haider am konsequentesten. Die Vorwürfe gegen ihn und seine Mannschaft entsprängen bloß "kranken Gehirnen". "Die Journalisten" stellen dabei im Moment neben "den Linken" offen jene Projektionsfläche dar, an der sich das Kollektiv die Widerwärtigkeit zersetzender, spalterischer Tätigkeit ausmalen soll. Man halluziniert sich als Opfer dunkler Mächte und perfider Charakterlosigkeit. Die bereits seit Jahren praktizierte Rede von der "linken Jagdgesellschaft" erfährt neuen Aufschwung.
Die Inversion von Täter und Opfer ist in dieser Logik fest verankert: Jene, die nur berechtigterweise auf Mißstände hingewiesen hätten, würden nun von den immer noch allmächtig phantasierten Überbleibseln der alten Ordnung verleumdet und verfolgt. Dabei hätten die in die "Spitzeleien" Involvierten doch nichts Unrechtes getan, sondern nur aus einem Notstand heraus, also in Notwehr, gehandelt (Jörg Haider). Es wird also eine nationale Krise beschworen, in der es legitim sei, die Regeln des Rechtsstaates, mit denen jener nicht beizukommen sein, zu unterlaufen, um dem Souverän gegenüber den "linken Volksfeinden" zu seinem Recht zu verhelfen. Diese "Volksfeinde" seien es nun, die mit aller ihnen zur Verfügung stehender Macht, den nationalen Rettungskurs der FPÖ zu verhindern suchten.
Solcherart wird eine Opferrolle imaginiert, die zur Handlung zwinge: "Freunde, ihr müßt verstehen, die haben uns den Krieg erklärt. Darauf müssen wir die richtige Antwort geben. (...) Ich eröffne die Jagdsaison auf die Jagdgesellschaft." (Jörg Haider) Sich derart als verfolgende Unschuld gerierend, wird zum Halali auf jene geblasen, die den Vertretern des "wahren Volkswillen" in die Quere zu kommen scheinen. In diesem Aufruf zur Gewalt gegenüber den designierten Feinden trifft die FPÖ-Agitation sich wiederum mit dem historischen Faschismus. Daß die Angesprochenen den sublimen Inhalt der Argumentation verstehen und die oft verdeckten Andeutungen konsequent zu Ende denken, zeigt ein Vorfall, der sich erst kürzlich nach einer Parteiveranstaltung in Wien ereignete: Mehrere Beobachter dieser Veranstaltung wurden nach deren Ende von Haider-Anhängern aufgelauert und unter Aussagen wie "Was der Haider nicht machen kann führen wir aus." bzw. "Drinnen wird geredet, draußen wird gehandelt." krankenhausreif geprügelt.
Die FPÖ nutzt also die "Spitzelaffäre" dazu, ihr Ressentiment gegen Rechtsstaat und vermittelte Herrschaft auszuagieren und ihren Vorstellungen von einem unmittelbaren Bündnis von Volk und Führung weiter zum Durchbruch zu verhelfen. Die Klagen, mit denen dabei alle diesem Ziel (scheinbar) Entgegenstehenden eingedeckt werden, sind dem Zweck des Beweises der Schlagkräftigkeit und Souveränität der FPÖ untergeordnet. Ob diese Strategie letzten Endes von Erfolg gekrönt sein wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Sollte die FPÖ bei den anstehenden Ermittlungen und eventuell folgenden Verfahren nicht massiv unter Druck geraten, hätte sie demnach implizit Legitimation für ihr Notstandsprogramm erhalten, ergäbe dies eine neue Qualität der Durchsetzung des demokratischen Faschismus.
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