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"Wohlsein nach Schandtaten"

Der Antisemitismus der Gruppe 47

von Renate Göllner*

 
Wie deutsch waren die Stars der deutschen Nachkriegsliteratur?

Als Ingeborg Bachmann 1952 in Niendorf an einer Tagung der Gruppe 47, der einflussreichsten deutschsprachigen Schriftstellergruppe der frühen Nachkriegszeit, teilnahm, notierte sie in ihr Tagebuch: "Am zweiten Abend wollte ich abreisen, weil ein Gespräch, dessen Voraussetzungen ich nicht kannte, mich plötzlich denken ließ, ich sei unter deutsche Nazis gefallen". [1] Damals war auch Paul Celan in Niendorf, um unter anderem aus seiner Todesfuge zu lesen. Bachmanns Notiz bezieht sich auf die Ignoranz der Gruppe, den Hohn und Spott, mit welchen man auf den Vortrag ihres Freundes reagierte; unerträglich, so die Meinung der Kollegen, sei Celans Pathos, er lese wie Goebbels (Walter Jens), das ganze sei ein Singsang wie in einer Synagoge.
Was Bachmann ihrem Tagebuch und Paul Celan in einem Brief seiner Frau anvertraute, davon handelt Klaus Brieglebs Buch Mißachtung und Tabu. In welchem Ausmaß hat die Gruppe 47 an der Aus- und Abgrenzung, Vereinnahmung und Instrumentalisierung jüdischer Schriftsteller und Kritiker mitgewirkt? Inwieweit hat sie, indem sie die Shoah zum Tabu erklärte, das literarische Klima im Nachkriegsdeutschland beeinflusst? Und welche Funktion erfüllen heute schließlich jene, die einst zur Gruppe zählten?
Der Kreis um Hans Werner Richter galt lange Zeit nicht nur als Aushängeschild deutscher Literatur, ihm eilte auch zumindest in seiner Frühphase - der Ruf voraus, es handle sich bei diesen Autoren um untadelige Antifaschisten, engagierte Schriftsteller, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Literatur zu erneuern. Jüdische Emigranten, die zur Gruppe gestoßen waren, wurden jedoch rasch mit dem antisemitischen Ressentiment konfrontiert, das in der Gruppe herrschte, mit Widerwillen und Ignoranz, die Verbrechen der Deutschen zur Kenntnis zu nehmen, sie zu thematisieren und sich dem zu stellen, was ihnen, den Überlebenden widerfahren ist. Statt dessen wollten sich die Kriegsheimkehrer und Flakhelfer, die sich "jungdeutsch" nannten, "etwas von der Seele schreiben" und vor allem "mit der Vergangenheit Schluß machen". Man war, wie Alfred Andersch, stolz darauf, nicht aus "Studierzimmern" zu kommen, sondern "aus dem unmittelbaren Kampf um Europa, aus der Aktion". Was die Verbrechen der Deutschen betrifft, so betrachtete man die als längst kompensiert, "durch die Fülle von Leiden, die, scheinbar als natürliche Folge einer so totalen Schuld, über Deutschland hereinbrechen. Hierher gehört die physische und psychische Wirkung der Bombenangriffe, die Austreibung von zehn Millionen Deutschen aus ihren Wohnstätten im Osten, die Ernährungslage und der Schwarzmarkt, die Kälte, die um sich greifenden Krankheiten, die babylonische Gefangenschaft von Millionen früherer Soldaten...." (Andersch)
Dermaßen mit der eigenen Vergangenheit versöhnt, jede Mitschuld und Verantwortung von sich weisend, war das Verbot, die Shoah zu thematisieren - "keine Greuelliteratur!" - ein ungeschriebenes Gesetz in der Gruppe, ebenso wie das Gebot der "Vermeidung jeder Grundsatzdiskussion".
Diese Debatten hätten möglicherweise zum unweigerlichen Bruch mit den Emigranten geführt und in der literarischen Öffentlichkeit Ärger hervorgerufen. Indem man jedoch Kritiker und Autoren wie Reich-Ranicki, Ilse Aichinger, Hildesheimer oder Hans Mayer in die Gruppe einzubinden versuchte, wähnte man sich vor jedem Verdacht gefeit. Auch deshalb wurde das antisemitische Ressentiment - wie im Falle Celans - nur selten offen ausagiert; der aggressiven Abwehr ließ man lieber hinterrücks, in internen Briefen freien Lauf. Nachdem Hermann Kesten der Gruppe vorwarf, sie würde antisemitischen Vorbildern nacheifern, wurde der Gruppenchef deutlich: "Kesten ist Jude und wo kommen wir hin, wenn wir jetzt die Vergangenheit untereinander austragen, d.h. ich rechne Kesten nicht zu uns zugehörig, aber er empfindet es so. Wie aber soll man diesem eitlen und so von sich überzeugten Mann beibringen, welches Unheil er anrichtet?" War man erst einmal unter sich, wurde Klartext gesprochen. Wie sehr die Atmosphäre während der Zusammenkünfte der Gruppe tatsächlich vergiftet war, daran erinnert sich Günther Kunert: "Man spürte jedoch deutlich die Spannung zwischen den Personen. Peter Weiss erscheint, Heinrich Böll sitzt an einem Caféhaustischchen, beider Blicke signalisieren Ungutes, es wird geraunt und gewispert, und niemand erklärt mir, worum es eigentlich geht. Merkwürdig: Es dominierte damals eine starke Ambivalenz, nämlich das Gefühl der Zugehörigkeit zu Gleichgestimmten und Gleichgesinnten, zur 'Berufsgenossenschaft', verquickt mit einem anderen Gefühl, dem des Fremdseins, des Fremden, des Gastes, dem sich der interne Kreis nie öffnen wird." [2]
Dieser interne Kreis weigerte sich freilich auch vom Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 bis 1965) Notiz zu nehmen; trotz eines Appells von Reich-Ranicki blieb die Gruppe dem Gerichtsaal fern. Merkwürdiger Weise konnte Peter Weiss seinen ersten Text zu dem Prozess Meine Ortschaft noch im Rahmen der 47iger publizieren, bevor man ihn wenige Jahre später unter der Federführung von Günther Grass, aus der Gruppe "herausschmähte."
Das ist der Kern der Gruppe 47: ein deutscher Männerbund, eine verschworene Schicksalsgemeinschaft, gestiftet durch die Verbrechen der Vergangenheit. Die Frage ihrer eigenen Komplizenschaft mit dem Nationalsozialismus durfte von niemanden thematisiert werden, schon gar nicht von Emigranten, denen man intern "völliges Versagen" und "politische Instinktlosigkeit" (Richter) vorwarf. So wie für Millionen andere Deutsche war der Massenmord an deutschen Juden nicht das Problem dieser einst ehrenhaften Soldaten, die nach dem "großen europäischen Krieg" angetreten waren, den literarischen "Kampf gegen alle Feinde der Freiheit fanatisch zu führen" (Andersch). "Ein Kampf, der nicht zuletzt darum geführt wurde, eine Erfahrung aus einer künftigen Literatur auszuschließen: daß es noch etwas Schlimmeres geben könnte als Krieg." [3] Es war kein Zufall, dass das, was sich als neuer Realismus gerierte, sich ausgerechnet den Antisemiten Ernst Jünger zum Vorbild nahm.
Dass Thomas Mann 1952 der Verleihung des Schikele Preises an Richters Machwerk "Sie fielen aus Gottes Hand" nach langem Zögern zustimmte, dürfte er wenig später bitter bereut haben: Die Bedeutung der Gruppe 47, so schrieb er, hänge zusammen, mit dem was sie bekämpft, "mit diesem frechen und unmoralischen Wohlsein nach Schandtaten, die mit der Höllenfahrt von 1945 schlossen, und an die heute zu erinnern nichts weiter als bolschewistisch ist".
Obwohl Briegleb sich in seiner Studie mit größter akademischer Vorsicht dem Thema nähert, sorgte Mißachtung und Tabu in den Feuilletons der deutschen Presse für helle Aufregung. Das hat vermutlich damit zu tun, dass Briegleb den aktuellen deutschen antisemitischen Kontext thematisiert: das Gespräch von Günther Grass mit Yoram Kaniuk im Berliner Literaturhaus, die Debatte um das Berliner Mahnmal, Walsers berüchtigte Rede in der Paulskirche, in der er den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der deutschen Juden Ignatz Bubis öffentlich schmähte, Walsers Roman Tod eines Kritikers. Die ehemaligen "Jungdeutschen" fühlten sich provoziert und demonstrierten erneut, wie gut alte Seilschaften sich bewähren. Walter Jens, Grass, Baumgart und andere waren sich einig: Brieglebs Streitschrift beruhe auf einer "Wahnidee" hieß es, eine "absurde These" liege ihm zugrunde. Es ist schade, dass Briegleb in seinem Buch nicht immer zu der Schärfe findet, die, auch angesichts dieser durchaus vorhersehbaren Reaktionen angemessen gewesen wäre, dass er die neue Intensität des Antisemitismus zu wenig herausarbeitet. Gehört doch Walsers Roman, in dem mit dem verhassten Kritiker und Überlebenden der Shoah abgerechnet wird, ebenso in das "ungebrochene antisemitische Kontinuum", von dem Briegleb im Zusammenhang mit der Gruppe 47 spricht, wie er bereits darüber hinaus weist. Hier handelt es sich "nicht mehr um Literatur im engeren und reflektierten Sinn, sondern um den gut kalkulierten Bruch mit einem nur mehr mühsam aufrechterhaltenen Tabu." [4] Was man im Kreise der 47iger einst nur hinter vorgehaltener Hand, im intimen Kreis, auszusprechen wagte, erscheint nun, bis zur Stürmerkarikatur [5] gesteigert, als Bestseller am deutschen Markt.

*) Renate Göllner ist freie Autorin in Wien. Sie veröffentlichte unter anderem Rachel und Hannah, Fanny und Hilde. Ein Parallelogramm zur Emanzipation jüdischer Frauen. in: Ilse Bindseil/Monika Noll (Hg.): Erinnern und. Frauen 6. Ça ira-Verlag, Freiburg 2000

[1] Alle Zitate ohne weitere Angabe sind Klaus Brieglebs Streitschrift "Mißachtung und Tabu. Eine Streitschrift zur Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47". Berlin - Wien 2003 entnommen.
[2] Günther Kunert: Deutsch-Deutsche Begegnung. in: Toni Richter (Hg.): Die Gruppe 47: Bilder und Texte. Köln 1997
[3] Hanno Loewy: Mumpitz und Tabu. in: Frankfurter Rundschau 6.3.03
[4] Gerhard Scheit: Deutscher Realismus. Zu Martin Walsers Roman Tod eines Kritikers. in: Bahamas, Nr. 39, 2002, S. 19 ff.
[5] M. Reich-Ranicki stellte in der Faz v.12.7.2002 fest, daß das Buch gegen Juden hetze, und es "hier und da dem Vorbild des Nazikampfblattes 'Der Stürmer'" folge.
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