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Die Mörder und der Ruf nach Frieden

GASTKOMMENTAR VON STEPHAN GRIGAT

(Die Presse) 07.08.2006

 

"Es ist Krieg und alle wollen mitmachen." So beginnt Thomas Schmidinger seinen Kommentar zur Situation im Nahen Osten in dieser Zeitung am 1. August. Doch tatsächlich ist Krieg und alle wollen Frieden - einen Frieden, der es der Hisbollah ermöglichen würde, ihre Kräfte erneut zu sammeln um den Djihad gegen Israel weiter zu führen; einen Frieden, der womöglich, wie gerade europäische Kommentatoren und Politiker fordern, die Baathisten in Damaskus und die Klerikalfaschisten in Teheran in die Gestaltung der Region in einer Weise einbeziehen würde, welche die Bedrohung für Israel nur verschärfen kann; einen Frieden, diktiert von einer Art antisemitischer Internationale, die immer dann vom Völkerrecht redet, wenn es sich gegen den Staat der Shoah-Überlebenden richten lässt, aber nur Hohn und Spott übrig hat, wenn israelische Politiker darauf verweisen, dass in der internationalen Politik die Verhältnismäßigkeit einer militärischen Aktion sich nach der Bedrohung, nicht nach einem bereits erfolgten Angriff richtet. Angesichts solcher Friedensforderungen kann man nur an den Satz des verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, erinnern: Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.

Man sollte Verdacht schöpfen, wenn Autoren in Krisen- und Kriegssituationen ihre Moral und ihre Seelenqualen zur Schau stellen. Sie formulieren nur Selbstverständlichkeiten, wie etwa jene, dass tote Menschen, im übrigen nicht nur Zivilisten, auf allen Seiten zu bedauern sind. Doch solange die gesellschaftlichen Gründe für die Verursachung immer neuer Opfer nicht aus der Welt geschafft sind, wird es diese geben. Sie entbinden niemanden vom Analysieren, Kritisieren und Urteilen. Das von Schmidinger geforderte "Fragen nach den zivilen Opfern auf beiden Seiten" ist eine wohlfeile Phrase. Wer begrüßt denn die zivilen Opfer auf irgendeiner Seite? Hier suhlt sich jemand geradezu in seinen "Ambivalenzen" und kokettiert, ähnlich wie vor kurzem Robert Misik in einem "Standard"-Kommentar, mit der eigenen "Ratlosigkeit", die aber immerhin noch zum Verfassen eines ganzen Artikels reicht.

Der Trick all jener Nahostexperten, die stets besser wissen, wie der israelische Staat sich schützen kann als Israels Regierung, seine Armeeführung und jene 90 Prozent der arabischen und jüdischen Bevölkerung, welche die Aktionen im Libanon für notwendig erachten, besteht darin, Analyse und Kritik durch Moralismus zu ersetzen. Mit der Moral verhält es sich aber so, dass sie sich entweder von selbst versteht oder keine ist, sondern nur der Abwehr des Denkens und der Verweigerung einer angesichts der Situation unumgänglichen Parteilichkeit dient. Schmidinger praktiziert genau das, was er anderen vorwirft. Es geht bei ihm nicht um den Nahen Osten, sondern seine edle Seele, die angesichts der Realitäten des israelisch-arabischen Konfliktes so sehr leidet, dass er statt begründeter Urteile nur mehr einen "Verdacht" formuliert, die eigene Zerrissenheit und hochanständige Gesinnung dem Publikum vorführt und differenziert klingende Fragen aufwirft.

Dabei ist die Sache so schwierig nicht. Israel wurde von der Hisbollah, die mittlerweile auf libanesischen Internetseiten wie Libanoscopie.com verdächtigt wird, die Tragödie von Kana gezielt herbeigeführt zu haben, innerhalb der Grenzen von 1948 angegriffen - und zwar nicht erst seit dem 12. Juli, sondern seit dem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon 2000. Israel wehrt sich nun dagegen in einer dermaßen zurückhaltenden Art und Weise, dass das Leben der eigenen Soldaten aufs Spiel gesetzt wird, um unbeteiligte Libanesen möglichst nicht in Gefahr zu bringen - eine Praxis, die, wie zuletzt beim Jugoslawien-Krieg beobachtet werden konnte, all jenen europäischen Staatsführungen und Politikern fremd ist, die sich jetzt zur Anklage der "Unverhältnismäßigkeit" der israelischen Militärschläge aufschwingen. Aber die Verteidigung jüdischen Lebens und der Existenz des jüdischen Staates galt in den meisten Weltgegenden schon immer als "unverhältnismäßig".

Ein Denker wie Max Horkheimer, einer der wichtigsten Vertreter der Kritischen Theorie, wusste schon angesichts des israelischen Sinai-Feldzugs vor fünfzig Jahren, dass sich ein Staat wie Israel anders gegen seine Feinde zur Wehr setzen muss als eine Weltmacht: zeitweise präventiv und aggressiv. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Vor diesem Hintergrund und angesichts der keineswegs nur durch die Hisbollah verkörperten Bedrohungen ist die Zurückhaltung Israels in den letzten Jahren bemerkenswert, nicht seine Härte.

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