"Die Natur ist Teile ohne
Ganzes." (Alberto Caeiro / Fernando Pessoa)
Solange es ein
göttliches Subjekt der Geschichte gibt, fungiert Natur lediglich als
eine Art Futteral für den Menschen. Das galt auch noch für die
letzte Erscheinungsform dieses Subjekts: die vergöttlichte
Arbeiterklasse. Marx bewährte sich als Atheist und rettete die
Kritik, als er gegen die Verdrängung der Natur im Gothaer Programm
polemisierte: "Die Arbeit ist nicht die
Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der
Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche
Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer
Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft." [1]
Für die Ideologen der Arbeiterklasse war das die schwerste
narzißtische Kränkung, für die Ideologen aller Klassen nur noch
von Freuds Trieblehre übertroffen, wonach das Ich daran krankt, daß
seine Moral nicht die Quelle allen Glücks ist.
So mußte
Horkheimer und Adorno die Natur in einem viel weiteren Sinn zum
Problem werden. Der Einklang mit ihr, der bei Marx noch durch den
vernünftigen, planvollen Umgang mit dieser Quelle des Reichtums mit
Händen greifbar schien, [2]
stößt nun auch im Innern des Individuums, in seinem Bedürfnis,
sich selbst zu erhalten, auf größten Widerstand: Trieb und Vernunft
schließen einander desto fühlbarer aus, je weiter sich die
Zivilisation entwickelt.
Revolution heißt
damit auch "Eingedenken der Natur im Subjekt" [3].
So wenig Adorno und Horkheimer sagen können, wie dieses Eingedenken
konkret zu realisieren wäre, sie lassen keinen Zweifel daran, worin
seine Negation im allgemeinen resultieren muß: der Naturzustand
verewigt sich inmitten der Gesellschaft; in deren eigensten Gesetzen
lebt fort, was als endgültig besiegt und bezwungen gilt.
Gesellschaft bleibt selber im Bann der Naturgeschichte: als
"zweite Natur" fällt sie mit der ersten zusammen. "Jeder
Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät
nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der
europäischen Zivilisation verlaufen." [4]
Diese Bahn verfolgten Adorno und Horkheimer zurück bis zu Homer: ihr
Naturbegriff nötigte sie förmlich dazu, zwischen kapitalistischer
Produktion und deren Vorformen nicht mehr scharf zu unterscheiden.
Das schien der Preis zu sein, um Natur in solcher Ambiguität
überhaupt zur Sprache zu bringen und damit über den Marxismus
hinauszugehen - wie umgekehrt die vollständige Abwicklung der
Kritischen Theorie (ob bei Habermas oder im Poststrukturalismus)
davon ausgehen konnte, daß die unaufhebbar ambigue Frage der Natur
wieder aus der Gesellschaftstheorie verbannt und zur Beute der Grünen
geworden war.
Doch die fundamentale Zweideutigkeit
des Naturbegriffs läßt sich durch Mülltrennung nicht entsorgen:
Wenn die blinde Gesetzmäßigkeit von Herrschaft denselben Namen
trägt wie das, was ihr zugleich zum Opfer fällt, dann bleibt nicht
nur offen, was Natur eigentlich ist, sondern auch, was für sie getan
werden kann.
Der "krude, auch allzu enge Name"
Die suggerierte Unmittelbarkeit ist
Schein. Natur wäre zunächst als metaphysischer Begriff zu sehen,
der eigentlich den Naturwissenschaften das fürchten lehren sollte:
er verdankt sich dem Transzendentalsubjekt, das "in uns denkt" -
kommt also in der Natur selber nicht vor; ist Name für ein
Verhältnis, nicht für die Dinge selbst, die darunter subsumiert
werden. Unter der Fragestellung "Wie ist Natur selbst möglich?"
heißt es bei Kant: "Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori)
nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor." [5]
Kant aber meinte mit Natur auch ganz selbstverständlich noch die
Gesellschaft, sodaß die Aktivitäten eines Raubtiers nicht anders
als die eines Kapitalisten dem Verstand immer nur in Naturgesetzen
faßbar werden, die dem Verstand selber, der doch Raubtier und
Kapitalist bloß beobachtet, entsprungen seien. Natur und
Gesellschaft gelten ihm darin als eins, eine einzige Natur, der
jedoch die intelligible Welt gegenübersteht, worin es allein die
Freiheit des Individuums gibt.
Adorno und Horkheimer kehren zwar zur
Kritik von Kant zurück, wonach der Verstand seine Gesetze der Natur
vorschreibe. Aber sie sind hindurchgegangen durch eine Kritik der
politischen Ökonomie, die nur noch doppeldeutig von den
Naturgesetzen kapitalistischer Produktion spricht: wenn Marx "die
Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen
naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt" [6],
dann bedeutet das entweder, diese Entwicklung führt mit
naturgeschichtlicher Notwendigkeit zum Sozialismus; oder es heißt:
der naturgeschichtliche Prozeß wäre zu unterbrechen. Indem Adorno
und Horkheimer gegen jene sozialdemokratische und stalinistische
Auslegung Position beziehen und Revolution als Stillstellung des
naturgeschichtlichen Prozesses verstehen, damit Freiheit überhaupt
möglich werde, müssen sie auch Gesellschaft und Natur in neuer
Weise aufeinander beziehen. Die Reflexion von Kant, daß der Verstand
seine Gesetze der Natur vorschreibe, formulieren sie als Kritik der
Naturbeherrschung: "Die disqualifizierte Natur wird zum chaotischen
Stoff bloßer Einteilung und das allgegenwärtige Selbst zum bloßen
Haben, zur abstrakten Identität." [7]
Der Verstand wird als Gesellschaftliches begriffen, die Gesellschaft
selber aber als etwas, das nach Maßgabe der intelligiblen Welt, im
Sinn der Freiheit des einzelnen Individuums, eben erst zu verändern
wäre, um nicht mehr mit Natur zusammenzufallen. Natur jedoch würde
dann ihrerseits in ein anderes Verhältnis zu den Gesetzen des
Verstandes rücken. Durch diese revolutionäre Theorie, die
allerdings die konservative Freuds [8]
(und die Sprachkritik von Karl Kraus) voraussetzt, taugt Natur nun
nicht mehr, wozu sie einmal gestempelt wurde. Vom Totalitätsbegriff,
den man ihr zugemutet hat, bleibt nur noch ein "kruder, auch allzu
enger Name" fürs Nichtidentische. [9]
Natur ist alles, was nicht
Gesellschaft ist - und zugleich zu erkennen gibt, ohne deren Zwang
zur Identität bestehen zu können. Das ist der springende Punkt, den
Kritik ins Auge fassen muß: Als Begriff für ein falsches
Verhältnis, bedeutet Natur immer auch die Möglichkeit eines
richtigen, worin ihr Qualitatives endlich zur Geltung kommen könnte
- eine Möglichkeit, die jedoch nirgendwo, weder in der
Vergangenheit noch in der Zukunft als realisierte vorgestellt und
beschrieben zu werden vermag. Allein im Ästhetischen hat sie sich
bewahrheitet: durch diesen einzig wahren Naturschutzpark führen die
Kantsche Kritik der Urteilskraft und die Ästhetische
Theorie Adornos. Auf die Gesellschaft selbst angewandt, bleibt es
notwendig bei vagen Formulierungen: Unter veränderten
Produktionsverhältnissen wäre Technik etwa fähig, der Natur
"beizustehen und auf der armen Erde ihr zu dem zu helfen, wohin sie
vielleicht möchte." [10]
Aber beistehen kann man nur einzelnen Wesen.
Unreflektiert gebraucht jedoch ist
Natur die Formel, die alles gleichmacht, was nicht zur Gesellschaft
gerechnet werden kann. Deren eigener Identitätszwang - die Gewalt,
die dem Einzelnen vom Allgemeinen angetan wird - kehrt in ihr
wieder und gaukelt Versöhnung vor: das schlechthin Nichtidentische,
Heterogene, soll zur Identität des Natürlichen, schlechthin
Versöhnten gebracht werden und nicht selten werden dabei noch die
einfachsten Einsichten der ohnehin der Selbstreflexion abgeneigten
Naturwissenschaften verleugnet, um nur ja nicht die Identität, d. h.
den Verstand, zu verlieren. Darin ist eine Gesellschaft am Werk, die
sich ihrer selbst nicht bewußt werden darf.
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Natur ist so gesehen und im Gegensatz
zum alten griechischen oder lateinischen Begriff, der nur die
Herkunft meinte, die Vorstellung der Gesellschaft von ihrer eigenen
Totalität, die das Bewußtsein abspaltet und auf das ihr Fremde
projiziert. Dabei entsteht immer eine Idylle, auch wenn Natur den
unerbittlichen Kampf ums Dasein verkörpern muß: sie dient der
Gesellschaft zur gefälligen Illustration des Immergleichen, ohne die
es in ihm kaum einer aushält. Demgegenüber nimmt Transzendenz eine
andere Bedeutung an: das Moment, in dem "Natur und Geschichte
einander kommensurabel werden", ohne ineinander aufzugehen, wäre
"das von Vergängnis" [11].
Das "automatische Subjekt" -
wie Marx den sich selbst verwertenden Wert des Kapitals bezeichnet -
ist aber Transzendenz, die solche Selbstreflexion auslöscht. Sie
tritt an die Stelle des alten göttlichen Subjekts der Religionen.
Alles Physische vermittelnd in der Totalität des Zwangs, wird es
durch die vergänglichen Erscheinungen hindurch (in Gestalt der
Waren) zum Ewigen, das unmittelbar nicht erscheinen kann und darum
der Natur bedarf, sich darin zu spiegeln. Gegenteil von Versöhnung
mit dem, was als Natur subsumiert wird.
Es gibt nur eine Wahrnehmungsform,
die dieser Spiegelung ganz gerecht wird: das ist das Fernsehen, denn
es gibt gleichfalls vor, alles Physische zu vermitteln, und
projiziert die Idylle ins Wohnzimmer. Fallen dann auf dem Bildschirm
die Tiere übereinander her, ist die ewige Natur perfekt: So ist nun
einmal die Welt, sagen sich die Bestien vor dem Bildschirm.
In der Natur verschwindet der Souverän
So deutlich
Horkheimer und Adorno in der Dialektik
der Aufklärung akzentuieren konnten,
daß der Naturzustand in der Gesellschaft fortdauert, da sie dessen
Zwänge in neuen Formen reproduziert, so undeutlich blieb ihr Begriff
von diesen Formen - und damit vom Souverän, der bei Hobbes den
Naturzustand im Inneren suspendiert. Sie enthalten sich der Stimme,
wenn der jeweilige Waffenstillstand beurteilt werden soll, den der
Staat im Krieg aller gegen alle auf seinem Territorium herstellt. [12]
Ihr Vertrauen in den Souverän, der ihnen gerade Schutz bot, als sie
das Buch schrieben, war zu diesem Zeitpunkt ziemlich gering, und das
kann ihnen niemand vorwerfen. Darum nicht zuletzt zögerten sie
später, es neu herauszugeben. In diesem Zögern liegt die Einsicht,
daß die Dialektik der Aufklärung
die politische Urteilskraft vernachlässigt hatte - eine
Urteilskraft, die zwischen den Staaten angesichts des Schlimmsten zu
unterscheiden vermag und dennoch, allein schon weil es die
Möglichkeit dieses Schlimmsten überhaupt gibt, am
"Existentialurteil" über den Staat selbst als den Inbegriff des
Falschen festhalten muß.
Jene Schwäche der
Kritischen Theorie hinterließ auch in Horkheimers politisch so
bedeutsamen Texten über "Autoritären Staat" und "Racket"
ihre Spuren, und sie ist selbst in den späteren Arbeiten Adornos,
die der deutschen Ideologie auf den Grund gehen, nicht ganz
überwunden. Während die Dialektik der
Aufklärung die "Disqualifizierung"
der Natur im Denken bewußt machte, entging ihr im Politischen etwas
von den je spezifischen Qualitäten des Souveräns, das zur selben
Zeit aber Franz Neumann und Otto Kirchheimer in der Analyse des
Nationalsozialismus gewinnen und in der Arbeit für den
amerikanischen Geheimdienst z. T. sogar umsetzen konnten. Vor der
disqualifizierten Natur sind alle Staaten gleich, könnte der Schluß
aus den Philosophischen Fragmenten
Adornos und Horkheimers lauten, [13]
während Neumann schon durch die Wahl des Titels seiner Analyse den
Gegensatz zwischen den Staaten exponiert, indem er auf Hobbes
anspielt: Behemoth
ist nicht gleich Leviathan:
jeder Staat ist ein "politisches Zwangssystems", aber
einer, "in dem Reste der Herrschaft des Gesetzes und von
individuellen Rechten noch gewahrt sind", ist zugleich etwas
anderes als der "Unstaat" des Nationalsozialismus, in dem der
"Zustand der Gesetzlosigkeit" total wird.
Die
Disqualifizierung des Politischen in der Kritischen Theorie fiel
nicht weiter ins Gewicht - solange es keine grüne Bewegung gab.
Und darum blieb es Herbert Marcuse vorbehalten, durch den Anschluß
an die "neuen sozialen Bewegungen" die Schwäche der Dialektik
der Aufklärung zum Programm zu machen.
In seiner Schrift Konterrevolution und
Revolte griff er nicht nur auf die
Einsichten von Adorno und Horkheimer zurück: Natur werde "in
aggressiv wissenschaftlicher Weise behandelt; sie ist wertfreie
Materie, bloßes Material. Diese Einstellung zur Natur ist ein
historisches
Apriori, das einer spezifischen Gesellschaftsform angehört." Er
vermeinte vielmehr jetzt in den "ökologischen Vorstößen der
radikalen Bewegung" auch "das konkrete Bindeglied zwischen der
Befreiung des Menschen und der der Natur" zu sehen: "Damit der
Umweltschutz sich so weit entwickelt, daß er im kapitalistischen
Rahmen nicht mehr eingedämmt werden kann, muß er zunächst
innerhalb desselben vorangetrieben werden." [14]
Offenkundig wollte er das Wahnhafte in den "ökologischen
Vorstößen" der vermeintlich "radikalen Bewegung" nicht sehen,
das damals jemanden wie Jean Améry sofort an die irrationalistischen
Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre erinnerte, denen er
selber mit positivistischer Vernunft beizukommen suchte: "Die
schiere Wahrheit ist, daß sowohl ideologischer Ökologismus wie
ideologischer Regionalismus luftige Denkgespinste sind, die dort, wo
hart im Raume sich die Sachen stoßen, alsbald unweigerlich
reaktionäre Züge annehmen würden." [15]
Das aber ist der Raum des Politischen. Die Verdrängung seiner
Kategorien verwandelt die wirkliche Kritik in irrationalen
Aktivismus: Marcuse kann nicht mehr erkennen, was es politisch
bedeutet, innerhalb des "kapitalistischen Rahmens", der eben kein
bloßer Rahmen ist, "Umweltschutz" voranzutreiben: Als gäbe es
in jenem Rahmen keine staatliche Herrschaft und kein nationales
Bewußtsein; als würde nicht jede Bestrebung, "Umweltverschmutzung"
zu vermindern, zwangsläufig politische Bedeutung annehmen und
ideologische Konsequenzen nach sich ziehen, fällt Marcuse, indem er
auch auf diesem Gebiet politisch aktiv werden möchte, hinter die
Selbstreflexion eines kritischen Naturbegriffs zurück, die der
Dialektik der Aufklärung
noch möglich war. Innerhalb des "kapitalistischen Rahmens" läßt
sich nur vorantreiben, was dem Begriff der Natur zu Diensten ist, den
eben dieser "Rahmen" determiniert. Sollte es je möglich sein,
ihn aufzusprengen und die Gesellschaft von ihrem eigenen Zwang zu
befreien, könnte erst Klarheit darüber gewonnen werden, was Natur
ist, welche Befunde davon existieren und wodurch ihr "beizustehen"
wäre. Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße
gegen den Restbestand politischer Vernunft.
Als die Alliierten des Zweiten
Weltkriegs noch in wechselseitiger Feindschaft und Abschreckung über
die Nachkriegsordnung wachten, gab es allerdings keine
Schwierigkeiten mit dem Souveränitätsbegriff und darum konnte jene
"radikale Bewegung", die nicht radikal war, in aller Unschuld
agieren. Die Siegermächte erschienen in spontaner Ideologisierung
als der Weltsouverän, der zwar in sich gespalten war in West und
Ost, aber in seinem eigenen Machtbereich alles Politische, d. h. alle
Freund-Feind-Verhältnisse zu regeln vermochte. Mit dem Ende dieser
Ordnung hat die Ökologiebewegung ihre Unschuld jedoch verloren, es
droht nun eine andere Erscheinung des Weltsouveräns, die allein
darin gespenstisch ist, sich nicht auf Waffen und Abschreckung zu
stützen, sondern auf Umweltbewußtsein und Schadstoffarmut.
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An die Stelle der Schreckbilder von
"kommunistischer Revolution" und "imperialistischer Aggression"
treten offenbar die von "Klimakatastrophe" und "ökologischem
Raubbau". Auf den ersten Blick scheint sich nicht viel zu ändern:
es geht darum, Bündnisse zwischen Staaten zu schmieden und die
Gewaltverhältnisse (Naturzustand nennt sie Hegel!) zwischen ihnen zu
regulieren. Aber die Mittel, die Natur vorschützen, geben undeutlich
einen anderen Zweck zu erkennen. Die Universalität, die sie so
selbstverständlich beanspruchen, als doch alle Menschen vom Klima
abhängig sind und gute Luft atmen wollen, ist weit durchtriebener,
als die Feindbilder des Kalten Kriegs es je waren. Niemand, der das
Überleben der Menschheit will, kann ernsthaft in Frage stellen, daß
die Natur - Voraussetzung der Reproduktion der Gesellschaft - zu
bewahren ist. Und zugleich beinhaltet bereits der Begriff der Natur
das falsche Bewußtsein von der Gesellschaft. So ist es kein Zufall,
daß die Kräfte, die der Hegemonie der USA ein Ende machen wollen,
mitunter sich nicht nur aufs Völkerrecht, sondern auch auf den
Klimaschutz berufen: das eine läßt den Staat als Natur der Völker
erscheinen, das andere macht die Natur zum Staatsgebiet des
phantasierten Weltsouveräns; einerseits soll das Prinzip des
westlichen Staats unterminiert werden, wonach das Recht und nicht die
Herkunft die politische Einheit bestimmen, andererseits soll dessen
Garant, die Hegemonie der USA, gebrochen werden. Und wie es derzeit
aussieht, könnte die antiamerikanische Ideologie Amerika selber am
besten als Kampf gegen den Klimawandel erobern.
Der Naturschutz als globalisierte
Bewegung gegen die sogenannte Globalisierung könnte geradezu als
naturgetreue Kopie oder romantischer Doppelgänger einer ganz
bestimmten Auffassung vom internationalen Recht betrachtet werden -
einer Auffassung, die über die Gewaltverhältnisse zwischen den
Staaten hinwegzutäuschen sucht; die vorgibt, es handle sich beim
sogenannten Völkerrecht um wirkliches Recht wie zwischen den Bürgern
eines Staats, wo es sich doch in Wahrheit zwischen den Staaten immer
nur um ein "gelten sollendes" (Hegel), nicht wirklich geltendes
Recht handeln kann, weil kein Souverän über ihnen regiert - und
auch niemals zu regieren vermag, da sie keine Bürger sind, sondern
Gewaltmonopole auf ihren je eigenen Territorien bilden. Der
phantastische Weltsouverän, der dagegen herbeibeschworen wird,
bedarf auch eines imaginären Territoriums: und das ist eben die
Natur als gefährdete Idylle, die von allen seinen halluzinierten
Untertanen, also den Staaten, geschützt werden müsse. Wer für
dieses heilige Reich zu keinem Opfer bereit ist, wird aus der
internationalen Gemeinschaft ausgestoßen.
Solche
aberwitzigen Phantasien berufen sich auf Umweltbefunde nur, um die
USA ins Visier zu nehmen. Und sie nehmen die USA ins Visier, um vom
Kapitalverhältnis zu schweigen. Das ist nicht nur schlecht für die
letzten Reste politischer Vernunft, die auf diesem Erdball noch
existieren. Es ist auch schlecht für das, was der krude Name Natur
zu bezeichnen sucht. Suggeriert wird nämlich, daß ihre Rettung oder
wenigstens, das Ärgste zu verhindern, möglich sei, und zwar, ohne
Staat und Kapital abzuschaffen. Dabei kann es sich doch bei all dem,
was unter dem Label "Umweltschutz" unternommen wird, immer nur um
kosmetische Eingriffe handeln. Natur selber bleibt lediglich Vorwand
für ein politisches Kräftemessen - und je weiter die Maßnahmen
über bloß regionale Zusammenhänge hinausgehen, desto
oberflächlicher die Eingriffe. Solange die Selbstverwertung des
Werts der gemeinsame Nenner ist, auf den alles Gesellschaftliche und
Natürliche gebracht werden muß, der letztlich bestimmende Zweck,
dem jedes Mittel recht ist; solange also das automatische Subjekt des
Kapitals existiert, das jede bewußte Zwecksetzung des Individuums
einem blinden Prozeß der Akkumulation um ihrer selbst willen
unterwirft und vom Individuum selber nur eine Charaktermaske
übrigläßt, solange erweist sich die vernünftige,
gesellschaftliche Regelung des "Stoffwechsels
mit der Natur" (Marx) als reines Hirngespinst.
Genau davon abzulenken, wurde die
grüne Charaktermaske erfunden. Sie sucht in der Natur Entspannung
vom Politischen. Was dieses Freund-Feind-Verhältnis den Menschen
aufnötigt, will sie eben hier vergessen machen: welche Freiheit es
allein gibt im Stande der Unfreiheit. Den kategorischen Imperativ,
alles Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht
wiederhole, kann sie nur als Gleichnis für die drohenden
Umweltkatastrophen deuten, und so ist sie wild entschlossen, alles
Umweltverträgliche zu tun, im Stande der Unfreiheit sich häuslich
einzurichten.
[1] Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW). Bd. 19. Berlin/DDR 1978, S. 15.
[2] Im dritten Band des Kapital sagt Marx in diesem Sinn, "daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn." MEW Bd. 25. Berlin/DDR 1979, S. 828.
[3] "Durch solches Eingedenken der Natur im Subjekt, in dessen Vollzug die verkannte Wahrheit aller Kultur beschlossen liegt, ist Aufklärung der Herrschaft überhaupt entgegengesetzt (...)." Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1997, Bd. 3, S. 58.
[4] Ebd. S. 29.
[5] Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Werkausgabe. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main 1977, Bd. V., S. 189 (A 113).
[6] Karl Marx: Das Kapital. Bd. 1. MEW Bd. 23, S. 16.
[7] Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, S. 26.
[8] Der Begriff des Es bleibt bei Freud unscharf wie der des Triebs: Was also am Menschen Natur ist, läßt sich letztendlich nicht isolieren und für sich bestimmen. Begreifen läßt sich allerdings, in welche Form es durch die Gesellschaft gebracht wird: begreifen läßt sich, was das Über-Ich (oder Ichideal) ist und woher es kommt.
[9] Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Gesammelte Schriften, Bd. 6, S. 179.
[10] Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften, Bd. 7, S. 107.
[11] Adorno, Negative Dialektik, S. 353.
[12] Hier heißt es etwa nur ganz pauschal: "Die Verschwörung der Machthaber gegen die Völker mittels ihrer unentwegten Organisation liegt dem aufgeklärten Geist seit Machiavelli und Hobbes so nahe wie die bürgerliche Republik." Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, S. 106.
[13] "Als der echte Leviathan fordert das Racket den rückhaltlosen Gesellschaftsvertrag", schrieb Horkheimer in den Aufzeichnungen zur Dialektik der Aufklärung (Gesammelte Schriften. Hg. v. Alfred Schmidt u. Gunzelin Schmid Noerr. Bd. 12. Frankfurt am Main 1985, S. 288) - und ignorierte damit die Unterscheidung, die Hobbes zwischen Leviathan und Behemoth gemacht hatte. Vgl. hierzu: Gerhard Scheit: Jargon der Demokratie. Freiburg 2007, S. 27-54.
[14] Herbert Marcuse: Konterrevolution und Revolte. Schriften Bd. 9. Frankfurt am Main 1987, S. 65
[15] Jean Améry: Regionalismus: Notwendigkeit, Ideologie - oder Ersatzrevolution?, in: Jean Améry: Aufsätze zur Politik und Zeitgeschichte. Werke Bd. 7. Hg. v. Stephan Steiner. Stuttgart 2005, S. 371. Vgl. hierzu auch den Brief von Améry an Günther Anders vom 9. 12. 1977, in: Jean Améry: Ausgewählte Briefe 1945-1978. Werke Bd. 8. Hg. v. Gerhard Scheit. Stuttgart 2007, S. 572ff.
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