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Die iranische Bedrohung

GASTKOMMENTAR VON STEPHAN GRIGAT

in "Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2007

 
Der Iran muss mit allen Mitteln an der Entwicklung von Nuklearwaffen gehindert werden. Alles andere stellt die Existenz Israels zur Disposition.

In Israel hatte sich seit dem schlechten Ergebnis des Libanonkrieges im Sommer letzten Jahres eine gewisse politische Agonie eingestellt, oft gepaart mit einer nur allzu begründeten Zukunftsangst, selten nur durchbrochen von dem sonst ebenso üblichen wie lebensnotwendigen Trotz. Bezüglich der Auseinandersetzung mit der Hisbollah im Norden wird in Israel nicht diskutiert, ob demnächst wieder ein Krieg ausbrechen wird, sondern lediglich wann. Es mehren sich die Hinweise, dass sich die Hisbollah an der Nordgrenze Israels, völlig unbehelligt von den im Südlibanon stationierten UN-Truppen, auf den nächsten Waffengang vorbereitet. Der Militärexperte Avraham Tal spricht es deutlich aus: "Ein Krieg, der unentschieden endet, ohne dass ein Abkommen unter den kriegführenden Parteien getroffen wurde, muss früher oder später wieder aufflammen. Im Konflikt zwischen Israel und dem Iran, der über den Stellvertreter Hisbollah geführt wurde, ist es keiner Seite gelungen, ihr strategisches Ziel zu erreichen."

Umstrittene Unterstützung der Fatah
Im Zentrum der Diskussionen steht in Israel im Augenblick die äußerst umstrittene Unterstützung der Fatah durch die israelische Regierung. Die Auseinandersetzungen über ein angemessenes Vorgehen gegen die Hamas und eine zielführende Positionierung gegenüber der Fatah sind nur im Zusammenhang mit der Diskussion über das iranische Atomwaffenprogramm zu begreifen. Zur Existenzbedingung Israels gehört, dass es auf die Unterstützung internationaler Großmächte angewiesen ist. Und diese Großmächte zeigen Israel immer wieder einmal, dass sie gewillt sind, ihre Interessen auch gegen das israelische Sicherheitsbedürfnis durchzusetzen.
Für die Israelis stellt sich die Frage, ob sich Washington angesichts der Probleme im Irak und nach einem möglichen demokratischen Wahlsieg mit dem Atomprogramm des Iran nicht doch in irgendeiner Weise arrangieren könnte. Die jetzigen Zugeständnisse an die Fatah seitens der Regierung Olmert sind als Versuch zu begreifen, die USA, die den palästinensischen Präsidenten Abbas immer wieder als passablen Verhandlungspartner bezeichnet haben, bei der Stange zu halten und hinsichtlich eines eventuell notwendigen gemeinsamen militärischen Vorgehens gegen die iranische Atomrüstung nicht zu verärgern.
Israel benötigt sowohl die US-amerikanische Unterstützung als auch einigermaßen Ruhe an den eigenen Grenzen, um der iranischen Herausforderung gewachsen zu sein. Der Erste, der das in Israel erkannte, war Jitzhak Rabin. Bereits Anfang der 90er-Jahre drängte der damalige Premierminister auf eine Aussöhnung mit den Palästinensern, da er mit einem beachtlichen politischen Weitblick die iranische Bedrohung als die zukünftig existenzielle für Israel ausmachte. Das Problem ist nur: Der von Rabin initiierte Friedensprozess ist in jeder Hinsicht gescheitert, und es ist nicht erkennbar, wie er mit eben jener Fatah, die für dieses Scheitern maßgeblich verantwortlich war, nun gelingen sollte.

Frieden mit Syrien als Chance
Dementsprechend richtet sich der Blick auf die Möglichkeiten eines Ausgleichs mit den sonstigen Nachbarn. Seit dem Ende des Libanonkriegs ist man sich in Israel weitgehend einig, dass Syrien aus der Achse mit dem Iran herausgelöst werden muss. Wie das zu bewerkstelligen wäre, ist hingegen heftig umstritten. Der kürzlich verstorbene Zeev Schiff meinte noch in einem seiner letzten Artikel in der linksliberalen Tageszeitung "Haaretz": "Das beste Mittel, um eine Barriere zwischen Israel und dem Iran zu errichten, ist ein Frieden mit Syrien." Andere sehen diese Möglichkeit nicht und fordern daher, Syrien mit militärischen Mitteln deutlich zu machen, dass seine Politik der Terrorunterstützung und Destabilisierung nicht unbeantwortet bleibt. Der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister Efraim Sneh, der auch bei linken Friedensfreunden einiges Ansehen genießt, erklärte, dass alle bisherigen Signale seitens Israels in Richtung Damaskus nicht die gewünschten Reaktionen gebracht hätten. Wer auch immer hier Recht behält: Man sollte sich stets in Erinnerung rufen, dass all das, was für Israel erstrebenswert wäre - ein dauerhafter Frieden mit den Nachbarn, die Beseitigung der Grenzstreitigkeiten, ein Ende der syrischen Terrorunterstützung - für die Baath-Faschisten in Damaskus ein Horrorszenario darstellt, das ihre Herrschaft gefährden könnte.
Die Befürworter eines militärischen Vorgehens gegen den National-Islamismus, wie Barry Rubin vom Interdisciplinary Center in Herzliya die syrische Ideologie des jungen Assad in Abgrenzung zum sozialistisch verbrämten Panarabismus seines Vaters nennt, können darauf verweisen, dass Israel nach dem Debakel im Libanon einen militärischen Erfolg benötigt, um seine Abschreckung gegenüber jenen Feinden zu erneuern, denen gegenüber überhaupt noch mit Abschreckung als Mittel der Politik operiert werden kann. Perspektivisch muss Israel sich vor allem mit jenen Kräften auseinandersetzen, bei denen militärisches Drohpotenzial auf Grund von apokalyptischem Märtyrertum kaum noch funktioniert. Und diese Kräfte genießen bei den Palästinensern durchaus Sympathien: Nach einer Umfrage des Pew Global Attitudes Project begrüßt die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung eine nukleare Bewaffnung des Iran.

Verhinderung einer zweiten Shoah
Solch eine Bewaffnung bräuchte vom Iran gar nicht eingesetzt zu werden, um jedwede Überlegung über die Zukunft des zionistischen Projekts obsolet werden zu lassen: Atomwaffen in der Hand der iranischen Mullahs würden es jedem arabischen Regime in der Zukunft verunmöglichen, einen Friedensschluss mit Israel anzustreben. Israel könnte selbst gegen massiven Raketenbeschuss durch die iranischen Verbündeten im Süden oder Norden des Landes, also die Hamas und die Hisbollah, angesichts der Drohung mit der Teheraner Bombe nicht mehr adäquat reagieren, woraufhin sich fast die gesamte Bevölkerung in das Landesinnere flüchten müsste. Und ohne einen einzigen Schuss abzugeben, könnte Ahmadinejad oder einer seiner Nachfolger eine Entvölkerung Israels herbeizwingen. Schon heute überlegen 27 Prozent der Israelis, das Land zu verlassen, sobald der Iran über Nuklearwaffen verfügt.
Es wird in absehbarer Zeit keine Lösung der Konflikte im Nahen Osten geben. Das Beste, was von israelischer Seite zur Zeit erreicht werden kann, ist eine Verwaltung der Misere, welche zumindest die Vorbereitung auf größere Auseinandersetzungen ermöglicht. Und die wird es in absehbarer Zeit mit dem Regime in Teheran geben.
Der Iran muss entweder durch das Gegenteil von dem, was derzeit praktiziert wird, zum Einlenken bei seinem Atomprogramm gebracht werden, also durch konsequente politische Isolation und ökonomischen Boykott oder aber, so das nicht wirksam ist, durch gezielte und wiederholte Militärschläge zumindest an der Entwicklung von Nuklearwaffen in der nahen Zukunft gehindert werden. Alles andere stellt die Existenz Israels zur Disposition. Und das heißt: Es geht in dieser Sache um nichts anderes als die Verhinderung einer zweiten Shoah - was in Israel fast niemand bestreitet, in Europa aber gar nicht oft genug betont werden kann.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Uni Wien und war Forschungsstipendiat in Tel Aviv. Für 29. und 30. September organisiert er am Campus der Universität Wien ein Symposium zur Analyse der iranischen Diktatur. (Infos: www.cafecritique.priv.at) Soeben ist im ça ira-Verlag sein Buch "Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus" erschienen.
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