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Israel und Europa

Ein unüberbrückbarer Gegensatz?

von Stephan Grigat

(erschienen in: Illustrierte Neue Welt, April/Mai 2007)

 
Der Gegensatz zwischen Israel und der Europäischen Union läßt sich anhand weniger Fakten illustrieren: Israel betreibt die Isolierung der Hamas; in Europa hingegen werden immer wieder Stimmen laut, die, wie Muriel Asseburg, die Nahostexpertin der eng mit dem deutschen Auswärtigen Amt kooperierenden Stiftung Wissenschaft und Politik meinen, "Gesprächsangebote" der Islamisten sollten nicht ausgeschlagen, sondern "als Chance genutzt werden". Israel geht gegen die Antisemiten von der Hisbollah mit militärischen Mitteln vor; die Europäische Union hingegen betrachtet die libanesischen Islamisten nicht einmal als terroristische Organisation, und die deutsche sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert gemeinsame Konferenzen mit Nasrallahs Gotteskriegern. Israel ist gezwungen, sich auf eine eventuelle militärische Konfrontation mit den Klerikalfaschisten im Iran vorzubereiten; die EU hingegen führt einen "kritischen Dialog" mit den Mullahs und baut seine ökonomische Kooperation mit den Apokalyptikern in Teheran aus.

Woher kommt dieser Gegensatz? Einer der Autoren, der sich dem Verhältnis zwischen Israel und Europa in mehreren Publikationen gewidmet hat, ist der aus Wien stammende Manfred Gerstenfeld, der die Shoah in Amsterdam überlebt hat, 1968 von Frankreich nach Israel ging und heute Vorsitzender des Board of Fellows beim Jerusalem Center for Public Affairs und Mitherausgeber der Jewish Political Studies Review ist. Vor zwei Jahren hat er das Buch "Israel and Europe: An Expanding Abyss?" veröffentlicht. Dort beschreibt er illusionslos den ressentimentgetrübten Blick eines Großteils der Europäer auf Israel. Sein nun vorliegender Band knüpft daran an. "European-Israeli Relations: Between Confusion and Change?" basiert auf einer Konferenz, welche die Konrad Adenauer Stiftung gemeinsam mit dem Jerusalem Center for Public Affairs Anfang 2006 in Jerusalem veranstaltet hat. Gerstenfeld faßt in einem einleitenden Essay die Entwicklungen der letzten Jahre in Israel und in maßgeblichen EU-Staaten zusammen. Im zweiten Teil des Buches finden sich Interviews mit fünfzehn Experten aus Israel und Europa, in denen sich zahlreiche Insiderinformationen aus dem Innenleben der europäischen Institutionen finden. Etwa über die antiisraelischen Ausfälle des sozialdemokratischen Europaparlamentariers Hannes Svoboda aus Österreich oder über die Versuche des ehemaligen EU-Kommissars für auswärtige Angelegenheiten, Chris Patten, die Untersuchung des Mißbrauchs von EU-Geldern durch die Palästinensische Autonomiebehörde zu verhindern.

Gerstenfeld stellt die zunehmende islamistische Mobilisierung in den Migrantencommunities der EU-Länder dar und untersucht die Bedeutung der Regierungswechsel in Ländern wie Deutschland, Spanien und Italien für die europäisch-israelischen Beziehungen. Er streicht die Bedeutung der Ablehnung der europäischen Verfassung durch die französischen und die niederländischen Wähler heraus, durch die eine "Confusion" im europäischen Selbstverständnis entstanden sei, die eventuell Möglichkeiten zu einem "Change" im schlechten europäisch-israelischen Verhältnis eröffne. Hier bleibt allerdings unklar, worin diese Hoffnung gründet. Bezüglich der israelischen Gesellschaft faßt er die Entwicklungen der letzten Jahre vom Rückzug aus dem Gazastreifen über den Wahlsieg der Hamas bis zur Konfrontation mit der Hisbollah zusammen. Gerstenfeld charakterisiert den Libanon-Krieg als eine Gelegenheit für Europa, seine Unterstützung für den Staat der Shoahüberlebenden in einer Situation zu zeigen, in der Israel von einer antisemitischen Terrororganisation angegriffen wurde. Zu recht weist er darauf hin, daß Europa diese Möglichkeit ungenützt hat verstreichen lassen.

Vor diesem Hintergrund versucht er die Frage zu beantworten, ob sich die Kluft zwischen Israel und der EU in den letzten zwei Jahren vergrößert hat. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage findet sich weder bei Gerstenfeld noch bei den interviewten Diplomaten, Politikern und Wissenschaftlern. Bei Gerstenfeld klingt jedoch die leise Hoffnung durch, daß die Europäer durch die unmittelbare Konfrontation mit dem islamischen Terror bei den Anschlägen in Madrid und London oder auch durch die Ermordung Theo van Goghs ein realistischeres Bild vom Djihadismus bekommen und dadurch auch mehr Verständnis für die Situation Israels aufbringen könnten. Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, daß sich diese Hoffnungen bestätigen werden. Die ebenso simple wie folgenschwere Feststellung Gerstenfelds, daß es keine Diskrepanz gibt zwischen der Rhetorik und den tatsächlichen Absichten der Islamisten, gilt in weiten Kreisen Europas nach wie vor als maßlose Übertreibung von politischen Extremisten und wird schlimmstenfalls als "antimoslemischer Rassismus" diskreditiert.

Gerstenfelds Buch beschränkt sich weitgehend auf eine Bestandsaufnahme. Es bietet mehr Darstellung als Analyse. Die Kluft zwischen Europa und Israel kann daher auch nur konstatiert, aber nicht hinreichend erklärt werden. Dazu bedürfte es einer ideologiekritischen Vorgehensweise, die sich nicht auf die Darstellung des Faktischen beschränkt. Der Mangel an ideologiekritischer Reflexion wird an mehreren Beispielen deutlich, etwa wenn der Antisemitismus als eine Spielart der "europäischen Xenopobie" bezeichnet wird und so jede Differenzierung zwischen Fremdenfeindlichkeit und Vernichtungswunsch, zwischen klassischem Rassismus und dem antisemitischen Ressentiment ignoriert wird. Auch der unkritische Begriff von einem "Euro-Islam", den Gerstenfeld mit Bezug auf das ehemalige Mitglied der Europäischen Kommission Frits Bolkestein und den deutschen Politikwissenschaftler Bassam Tibi als positives Gegenmodell zum "Sharia Islam" propagiert, ist ausgesprochen problematisch. Zum einen dient er bei Leuten wie Tarik Ramadan, der als Aushängeschild solch eines "Euro-Islam" gilt, nur zum Etikettenschwindel. Zum anderen bleibt unklar, warum man eine gemäßigte Variante von Frauenunterdrückung, Antisemitismus und Haß auf Homosexuelle akzeptieren sollte, nur um die aggressiven Varianten, also den islamischen Fundamentalismus, im Zaum zu halten.

Als ein Beispiel für Europas "politische Schwäche" führt Gestenfeld das Verhalten gegenüber dem Iran an. Doch warum sollte die Politik gegenüber Ahmadinejad als "politische Schwäche" verstanden werden? Sie drückt lediglich aus, daß maßgebliche europäische Politiker nicht den politischen Willen haben, konsequent gegen das klerikalfaschistische Regime in Teheran vorzugehen.

Unverständlich ist es, wenn Gestenfeld britische Konservative, die im Europäischen Parlament auf Israel losgehen, meint dadurch kontern zu müssen, daß er auf angebliche Kriegsverbrechen der Briten im Zweiten Weltkrieg verweist und selbst noch die Lüge des deutschen Geschichtsrevisionismus wiederbelebt, daß das gegen Ende des Krieges bombardierte Dresden "keinerlei militärischen Nutzen" gehabt hätte.

Ärgerlich ist es, daß "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe unwidersprochen die Legende vom großherzigen Israel-Freund Joschka Fischer wiederbeleben kann. Zwar stimmt es, daß die Rhetorik des ehemaligen deutschen Außenministers im Vergleich zu anderen europäischen Spitzenpolitikern ausgesprochen israelfreundlich war, doch gleichzeitig hofierte Fischer Jassir Arafat selbst noch zu einer Zeit, als es Israel endlich gelungen war, die USA davon zu überzeugen, daß es mit diesem antisemitischen Terrorpaten keinen dauerhaften Frieden geben kann.

Recht zu geben ist Gerstenfeld, wenn er fordert, daß Israel seine Freunde und Unterstützer in Europa besser organisieren und unterstützen muß. Allerdings wäre es ein Fehler, sich dabei auf die christlich dominierte European Coalition for Israel zu konzentrieren, die in dem Buch in Gestalt ihres Vorsitzenden Rijk van Dam zu Wort kommt. Selbstverständlich kann Israel bei der Wahl seiner Bündnispartner nicht besonders wählerisch sein, und dementsprechend könnte man bei christlichen Unterstützern Israels über die dubiosen Begründungen für ihre Solidarität unter Umständen hinwegsehen. Inakzeptabel ist es allerdings, wenn die ideologische Borniertheit in einer Unfähigkeit zur Analyse des Antisemitismus und seiner Ursachen resultiert: Rijk von Dam behauptet allen Ernstes, die Gründe für die heutigen Ressentiments gegenüber Israel würden in der europäischen Säkularisierung seit den 70er Jahren liegen und der europäische Antisemitismus sei das Resultat der massenhaften Kirchenaustritte. Merkwürdigerweise läßt Gerstenfeld solch abstruse Einschätzungen unwidersprochen.

Manfred Gerstenfeld: European-Israeli Relations: Between Confusion and Change?

Jerusalem Center for Public Affairs, Jerusalem 2006, 230 Seiten, $ 20.00
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