Bezeichnend für das Denken von Foucault ist
dessen Leitfaden für das Alltagsleben, den er nach der Lektüre
des Anti-Ödipus von Deleuze/Guattari
zusammengestellt hat:
1. Befreie die politische Aktion von jeder
vereinheitlichenden und totalisierenden Paranoia!
2. Verweigere den alten Kategorien des
Negativen (das sind Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel, Lücke),
die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und
einen Zugang zur Realität geheiligt hat, jede Gefolgschaft! Gib
dem den Vorzug, was positiv ist und multipel, der Differenz vor
der Uniformität, den Strömen vor den Einheiten, den mobilen
Anordnungen vor den Systemen! Glaube daran, daß das Produktive
nicht seßhaft ist, sondern nomadisch!
3. Denke nicht, daß man traurig sein muß,
um militant sein zu können auch dann nicht, wenn das,
wogegen man kämpft, abscheulich ist! Es ist die Konnexion des
Wunsches mit der Realität (und nicht sein Rückzug in
Repräsentationsformen), die revolutionäre Kraft hat.
4. Gebrauche das Denken nicht, um eine
politische Praxis auf Wahrheit zu gründen und ebensowenig
die politische Aktion, um eine Denklinie als bloße Spekulation
zu diskreditieren! Gebrauche die politische Praxis als
Intensifikator des Denkens und die Analyse als Multiplikator der
Formen und Bereiche der Intervention der politischen Aktion!
5. Verlange von der Politik nicht die
Wiederherstellung der "Rechte" des Individuums, so wie
die Philosophie sie definiert hat! Das Individuum ist das Produkt
der Macht. Viel nötiger ist es, zu
"ent-individualisieren", und zwar mittels
Multiplikation und Verschiebung, mittels diverser Kombinationen.
Die Gruppe darf kein organisches Band sein, das hierarchisierte
Individuen vereinigt, sondern soll ein dauernder Generator der
Ent-Individualisierung sein.
Und schließlich:
6. Verliebe dich nicht in die Macht!
Weil es so etwas wie eine Zusammenfassung
seines Selbstverständnisses ist, sei noch eine längere Stelle
zitiert:
Ich träume von dem Intellektuellen als dem
Zerstörer der Evidenzen und Universalien, der in den
Trägheitsmomenten und Zwängen der Gegenwart die Schwachstellen,
Öffnungen und Kraftlinien kenntlich macht, der fortwährend
seinen Ort wechselt, nicht sicher weiß, wo er morgen sein noch
was er denken wird, weil seine Aufmerksamkeit allein der
Gegenwart gilt; der, wo er gerade ist, seinen Teil zu der Frage
beiträgt, ob die Revolution der Mühe wert ist und welche (ich
meine: welche Revolution und welche Mühe), wobei sich von selbst
versteht, daß nur die sie beantworten können, die bereit sind,
ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zu machen.
Foucault also geht es um die Zerstörung von
Evidenzen und Universalien. Sein Motiv ist eindeutig: Diese
Evidenzen und Universalien dazu zählt er etwa die in den
Wissenschaften produzierten Wahrheiten und Begriffe gelten
ihm als Orte, von denen aus die Macht ihre Herrschaft ausübt.
Gegen diese, in Allgemeinbegriffen repräsentierte Macht gilt es
unter Einsatz des Lebens zu kämpfen.
Der Machtbegriff von Foucault umfaßt zwei
Ebenen: Die erste ist die konzeptionelle, ist das
"Analyseraster einer Mikrophysik der Macht". Hier geht
es um das Verhältnis der "lokalen Mächte zur allgemeinen
Macht", um die Beziehung der Mächte zu ihrem Außen
den Körpern sowie um die Konsequenzen für die Analyse,
die in dieser Konzeption von Macht enthalten sind: vor allem um
die Subjektlosigkeit der Macht und um den Positivismus, den
Foucault seiner Mikrophysik der Macht zugrundelegt. Die zweite
Ebene wäre dann die Mikrophysik der Macht selber, also, wie man
sich früher einmal ausgedrückt hat, die Analyse der
bürgerlichen Gesellschaft.
Macht und Mächte
Zuerst einmal wäre also zu klären, was
Foucault eigentlich unter Macht versteht. Hier gibt er freimütig
zu, eigentlich nicht zu wissen, was die Macht ist. Seit
Marx wisse man zwar, was Ausbeutung sei, aber schon der Begriff
Herrschaft sei unklar, da keiner wisse, von wo aus sich die Macht
bestimmt. Die Tatsache allerdings, daß die Macht existiert, kann
nicht geleugnet werden. Und, so Foucault weiter, bevor wir wissen
können, was die Macht ist, müssen wir uns darüber
verständigen, auf welche Art und Weise sie wirkt. Foucault geht
es um das "Wie" der Macht und erst in zweiter
Linie erst um ihr "Was".
Dem Dilemma, Wirkungen analysieren zu wollen,
ohne zu wissen, was die ihnen zugrundeliegende allgemeine Ursache
ist, entzieht sich Foucault mit einem Verfahren, das so alt ist
wie die Wissenschaft: Zur Anleitung der Forschungspraxis wird
eine Hypothese formuliert, um im Verlauf des Forschungsprozesses
herauszufinden, ob sich mit der Ausgangshypothese arbeiten
läßt, ob sie modifiziert oder von einer anderen abgelöst
werden muß. Der Inhalt der Ausgangshypothese ist für dieses
Verfahren völlig ohne Belang. Etwa auch der Satz, daß der
Urbaustein der Materie aus grünem Käse besteht, kann, vom
Prinzip des kritischen Rationalismus aus gesehen, bekanntlich
durchaus die Funktion erfüllen, einen Forschungsprozeß sinnvoll
anzuleiten.
Als eine solche Konstruktion Foucault
nennt dies seinen Nominalismus versteht er seinen
Machtbegriff, und seine Arbeiten sollen den Einsatz zu einem
allumfassenden Spiel abgeben, einen Einsatz, der schließlich
zeigen soll, "ob man so denken kann".
Macht also ist, zuerst einmal, nichts weiter
als ein Name, ist nicht mehr als ein Zeichen, mit dem
"komplexe strategische Situationen" belegt werden
sollen. Ein wichtiger Unterschied der Konstruktion von Foucault
zu den gängigen ist hier allerdings festzuhalten; und in diesem
Unterschied liegt so etwas wie ein Glanz verborgen, der in all
dem Elend seiner Konzeption von Macht steckt; denn im Gegensatz
zum Wissenschaftsbetrieb heutzutage macht er mit seinem
Nominalismus ernst. Er problematisiert ein Verhältnis, das der
Wissenschaft schon lange kein Problem mehr ist: Äpfel und Birnen
zusammengenommen heißen Obst der Allgemeinbegriff Obst
enthält, unter anderen, Äpfel und Birnen als seine konkreten
Bestimmungen in sich. In dieser Abstraktion vom Besonderen zum
Allgemeinen nun aber ein Problem zu sehen, das mit Macht, mit
Herrschaft, mit Ausbeutung auch nur im entferntesten zu tun hat,
dies gilt der Wissenschaft, seit sie die theologische Scholastik
überwunden hat, nachgerade als lächerlich.
Foucault dagegen erkennt, daß zumindest dort,
wo es nicht um den Allgemeinbegriff Obst, sondern um den der
Macht geht, im Verhältnis der je besonderen Kräfte zu ihrer
Verallgemeinerung in einer einheitlichen Macht ein Problem
steckt, das mit dem Verweis auf die bloße Formalität von
Abstraktion nicht in den Griff zu bekommen ist.
Macht als Allgemeinbegriff als
"nominale Konstruktion" ist also bei Foucault
erst einmal zu verstehen als "Vielfältigkeit von
Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und
organisieren". Mittels der, wie er sie nennt,
archäologischen Forschungen in abgelegenen Archiven, würde
jedem Ereignis die gleiche Bedeutung gegeben werden (hier hat im
übrigen die poststrukturale Beliebigkeit ihren Ausgangspunkt,
eine Basis allerdings, die logisch natürlich längst in der
Warenform angelegt ist, das aber nur am Rande). Diese
Archäologie soll nun den Prozeß rekonstruieren, in dem es den
einzelnen Mächten schließlich gelingt, sich miteinander zu
einer Einheit zu verbinden. Das Ergebnis wäre dann die
Mikrophysik der Macht, die deutlich werden lassen soll, daß das,
was als Errungenschaften der abendländischen Zivilisation gilt:
Individualität, Sozialität, Wahrheit, Wissenschaft, Technologie
usw. nichts weiter ist als das Resultat der Verkettung einzelner
Mächte zu einer einheitlichen, den modernen Gesellschaftskörper
beherrschenden und ihn durchziehenden "Strategie der
Macht".
Bevor anhand der konkreten Analysen
nachvollzogen werden kann, wie Foucault dieses Konzept einlöst,
wäre auch schon auf das Elend hinzuweisen, dem er sich
ausgeliefert hat, als er den Machtbegriff in dieser Form seinen
"nomadischen Untersuchungen" zugrundelegte. Dieses
Elend ist, wie der Glanz, Resultat derselben Konsequenz, mit der
er seinen Nominalismus durchzuhalten bemüht ist: Wo
Allgemeinbegriffe wie Gesellschaft, Staat, Wahrheit, Natur etc.
ausschließlich als Resultate von Machtverhältnissen begriffen
sind, ist es nur konsequent, sich gegen jede Theorie zu wenden,
die die herrschende Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit auf den
Begriff bringen will. Der Hegelianismus etwa gilt Foucault als
das Grundübel abendländischen Denkens denn im
hegelianischen Diskurs (und damit auch dem marxistischen) hat die
Macht sich laut Foucault besonders effektiv zu einer
einheitlichen Strategie verketten können. Und die Konsequenz
seines Nominalismus (und seiner in der Tradition der
sprachanalytischen Philosophie stehenden Weigerung, zwischen
Namen/Begriff und Gegenstand zu differenzieren [1)] zwingt ihn,
von seinen Analysen zu behaupten, daß ihnen kein einheitlicher,
aufs Ganze zielender Charakter zuzusprechen sei. Wo jeder
Allgemeinbegriff das Resultat der Vereinheitlichung je besonderer
Mächte zum Zwecke der Steigerung und Effektivierung von Macht
ist, dort muß derjenige, der gegen diese allgemeine Macht
kämpft, auf jede Theorie, auf den "allgemeinen
Diskurs" überhaupt, verzichten. Folgerichtig gehört das
Bedürfnis nach Theorie für Foucault noch zu dem System,
"von dem man genug hat".
Foucault ist sich des Dilemmas, dem er sich mit
seinem Machtbegriff aussetzt, durchaus bewußt und mit
einem Erfindungsreichtum, der seinesgleichen sucht (und nur noch
von seinen Plagiatoren übertroffen werden dürfte), versucht er
eine umfassende Mikrophysik der Macht vorzulegen, die sich
beständig dagegen sträubt, als eine einheitliche, ganzheitliche
Theorie zu erscheinen, als eine Theorie, der ein inhaltlicher
Allgemeinbegriff, der ein reales Subjekt, etwa die Macht,
zugrundeläge.
Macht und Körper
Das Dilemma Foucaults ist die Bestimmung des
Verhältnisses von besonderen, lokalen Mächten zu ihrer Einheit
als allgemeiner Macht. Als Einheit ist Macht von ihm doppelt
bestimmt: einmal bloß nominal, als Forschungshypothese, und
einmal real, als geschichtlich gewordene Einheitlichkeit der
Macht in der bürgerlichen Gesellschaft. Nun ist sich Foucault
darüber klar, daß man Mächte nicht voneinander unterscheiden
kann, wenn es außerhalb dieser Mächte nichts gibt, womit das
Spezifische einer Macht bestimmt werden kann. Jede Analyse muß
auf mindestens einer Differenz, auf mindestens einer Verdopplung
beruhen, sonst bewegt sie sich in Tautologien. Es muß etwas
geben, was außerhalb der Mächte steht, etwas, das es überhaupt
erst erlaubt, die eine Macht von einer anderen zu unterscheiden.
Die Verdopplung, auf die Foucault sich
beständig beruft, um Tautologien zu vermeiden, ist, daß er den
Mächten Körper gegenüberstellt. Körperlichkeit steht bei ihm
für all das, was nicht zur Ordnung der Macht gehört.
Körperlichkeit ist dabei zwar immer als das Außen der Macht
gedacht: Macht und Körper sind aber nicht als Gegensätze zu
verstehen, als Gegensätzlichkeit in der Form, daß "in den
Körpern Freiheit stecke, in der Macht dagegen Zwang". Vor
allem ist diese Verdopplung nicht als bloße Umformulierung der
alten philosophischen Verdopplung in Subjekt (etwa: die Macht)
und Objekt (hier: die Körper) gedacht. Die Spaltung der Welt in
Subjektivität, die üblicherweise für Freiheit, Irrtum,
Gefühl, Individualität oder anderes steht, und Objektivität,
womit meist Wahrheit, Natur, Gesetzlichkeit, Gesellschaftlichkeit
oder auch Zwang verbunden wird: all diese Verdopplungen und
Gegensätze begreift Foucault als Ausdruck spezifischer
Machtstrategien, als Verfestigungen, als Dispositive, die in
einer je spezifischen Weise und an einem ganz spezifischen Ort
eine Verbindung mit den ihnen äußerlichen Körpern eingegangen
sind. Weder die Macht noch die Körper können unabhängig
voneinander untersucht werden. Untersucht werden kann immer nur
die Art und Weise, in der Körper und Macht eine spezifische
Verbindung eingegangen sind. (So wie bei Marx Gebrauchswert und
Tauschwert eine Einheit in ihrer Differenz bilden und so den Wert
konstituieren.) [2]
Von dieser für seine Mikrophysik grundlegenden
Verdopplung der Welt in Mächte und Körper meint Foucault nicht
weniger, als daß er auf diesem Wege das gesamte Denken der
abendländischen Zivilisation vom Kopf auf die Füße stellen
kann. Diese Grundlegung soll es ihm erlauben, eine
"politische Geschichte der Wahrheit" zu schreiben, eine
Geschichte, die ohne Wahrheitsbegriff auskommt, die auf
Metaphysik, Transzendenz und Ontologie verzichten kann, die sich
also ohne Rückgriff auf absolute, nicht weiter erklärbare, für
evident gehaltene Wahrheiten darstellen kann. Vor allem will sie
nicht darauf angewiesen sein, gegenwärtigen und vergangenen
Prozessen ein allgemeines Subjekt unterstellen zu müssen. Kein
Gott, kein Gesetz, keine Natur, kein Souverän, keine Klasse und
erst recht kein Mensch ist Subjekt der Geschichte. Insbesondere
aber dies ist der eigentliche Zweck seiner
nominalistischen Konstruktion von Macht stellt auch die
Macht selbst nicht das historische Subjekt dar. Die Geschichte
wird nicht regiert sie regiert sich selbst in einem
ungeregelten, an sich chaotischen Prozeß ohne Anfang und Ziel,
einem Prozeß, der sich allerdings für eine bestimmte Zeit wie
der heutigen zu einer einheitlichen Strategie verketten kann,
ohne daß dieser Strategie aber ein Stratege als Subjekt
unterstellt werden müßte. Souveränität etwa die
Abhängigkeit der Gesellschaft von der Willkür eines
allmächtigen Herrschers war eine solche vorübergehende
Verkettung von Macht im Mittelalter und im Absolutismus. Die
bürgerliche Gesellschaft dagegen sei vom Fehlen dieser
Souveränität gekennzeichnet und dies zeige, daß Macht
sich vereinheitlichen kann, ohne daß dieser Macht ein Subjekt
unterstellt werden muß.
Der Körper und hierunter ist nicht etwa
nur der menschliche Leib zu verstehen, auch die Gesellschaft
bildet unter Umständen einen Körper spielt in Foucaults
Konzeption dabei dieselbe Rolle für die Macht, wie das
"Ding an sich" bei Kant für die Vernunft. Er muß als
existierend vorausgesetzt werden; Aussagen über ihn können aber
nur durch die Machtbeziehungen hindurch formuliert werden. Damit
ist auch schon der wesentliche Unterschied von Körper und
"Ding an sich" benannt: Kant zieht aus der
Unerkennbarkeit des "Dinges an sich" den Schluß, daß
ihn dieses überhaupt nicht weiter zu interessieren habe. Er
wendet sich der Vernunft zu und überantwortet die
Rätselhaftigkeit dieses "Dinges an sich" den Theologen
und anderen Okkultisten. Bei Foucault dagegen muß das Rätsel
der Körperlichkeit abstrakt als existierend vorausgesetzt
werden zu müssen, konkret aber nur durch Machtbeziehungen
hindurch erkannt und entdeckt werden zu können zum
wesentlichen Gegenstand seiner Analysen avancieren. Jeder von ihm
entwickelten Kategorie wie etwa Zeichen, Dispositiv, Natur,
Vergegenständlichung, Diskurs, ja alle seine Begriffe, etwa die
vom Sex, von der Seele, von Gesellschaft, Staat, Lust, Gefühl
sind nur zu verstehen, wenn in ihnen die Verdopplung von Macht
und Körper mitgedacht wird. Die Kategorien von Foucault
bezeichnen also nie Gegenstände, wie man etwa, scheinbar
problemlos, einen Tisch alltagssprachlich als einen Gegenstand
begreift. Vielmehr liegt jeder Kategorie eine Relation zugrunde,
eine Beziehung zwischen Macht und Körper. Seine Begriffe
bezeichnen, wie Foucault sich ausdrücken würde, einen Knoten in
einem Netz, in dem beständig neue Knoten geknüpft und alte
gelöst werden.
Die Verdopplung in Mächte und Körper zeitigt
für Foucaults Analysen eine entscheidende Konsequenz: Wo es
allein um ein historisches, subjektloses Verhältnis der Mächte
zu den "ihrer Objektivität entkleideten Körpern"
geht, gibt es kein subjektives oder objektives Kriterium mehr,
das irgend etwas als negativ, als schlecht, als böse, als
häßlich oder sonstwie werten kann. Jede Negation kann,
wie das Subjekt/Objekt-Verhältnis selbst, wiederum nur als
Ausdruck eines spezifischen Machtverhältnisses betrachtet werden
etwa als der Widerstand der einen lokalen Macht gegen eine
andere. Für die Analyse der Macht heißt das, daß alle
Kategorien des Negativen (vor allem der Begriff der Kritik
wie immer auch verstanden) am Problem der Macht vorbeigehen
müssen. Wer wie Foucault konsequenter Nominalist sein will und
diesem Nominalismus die Verdopplung von Macht und Körper
zugrundelegt, der muß Positivist sein muß einen
Positivismus vertreten, der den empirischen Positivismus der
Naturwissenschaften, und mit ihm die Identitätslogik und
Objektivitätswirkung des Geldes, rigoros auf alle Phänomene und
Ereignisse überträgt.
Die Norm und die Disziplinen
Dieser rigorose Positivismus macht die
Faszination Foucaults für seine Jünger aus: Gilt er doch der
bürgerlichen Schicht, die im Kapitalismus die Rolle zu erfüllen
hat, die kapitalistische Wirklichkeit mit den Idealen zu
vermitteln, die das Kapital aus sich freisetzt also den
Intellektuellen als einer, der streng empiristisch, also
mit dem unmittelbaren Verweis auf die Fakten, argumentiert.
Gerade die linke Fraktion des Berufsstandes der Vermittler ist ja
bekanntlich strikt antiintellektualistisch, theoriefeindlich
ausgerichtet: mit Foucault (und heute besonders Derrida) glaubt
sie, jemanden gefunden zu haben, der "die Differenzen"
aus dem Korsett der allumfassenden Theorie befreit habe. [3]
Die für die Entstehung der bürgerlichen
Gesellschaft entscheidenden Mächte sind Foucault zufolge die
Disziplinarmächte. Ihre Wirkungsweise erscheint als anonyme
Strategie, die deshalb so erfolgreich sein konnte, weil die
Disziplinarmächte mit einfachsten Instrumenten unerschöpfliche
Gestaltungsmöglichkeiten entfalten können. Ihre Instrumente
sind der Panoptismus und die Normierung. Mittels dieser
Instrumente wird jeder Körper immer enger an die neuen Mächte
gebunden, wobei den anderen Mächten immer mehr der Boden
entzogen wird.
Die Verfahren der Disziplinarmächte arbeiten
im wesentlichen nicht mit dem Recht, sondern mit der Technik,
nicht mit dem Gesetz, sondern mit der Normalisierung, nicht mit
der Strafe, sondern mit der Kontrolle und vollziehen sich auf
einer Ebene und in Formen, die sowohl über die Ökonomie als
auch über den Staat und seine Apparate hinausgehen.
Die von den Disziplinen bewirkte konkrete
Dressur aller nutzbaren Kräfte vollzieht sich somit hinter der
großen Abstraktion des Tausches und nicht in dieser. Und
dem Gesellschaftsvertrag, als der idealen Grundlegung des Rechts
und der politischen Macht, gibt das Zwangsverfahren der
Disziplinierung von unten her seinen Inhalt. Die Aufklärung,
welche die Freiheit entdeckt hat, hat auch die Disziplinen
erfunden.
Das juristische System staatlich garantierter
Gleichheit und Freiheit der Individuen ist nicht das Resultat
ökonomischer Prozesse, sondern das Ergebnis einer historischen
Transformation der Machttechniken: ist Ergebnis der
Disziplinarmächte, die die Machttechniken, die dem feudalen
Souveränitätsprinzip entsprangen, ablösten. | Das Kennzeichen
dieser Disziplinarmächte ist, daß es ihnen weniger um
Ausbeutung als vielmehr um Synthese, weniger um Entwindung des
Produkts als um Zwangsbindung an den Produktionsapparat geht.
Ziel dieser Disziplinarmächte ist die Vermehrung der ihr eigenen
Kräfte und die der Gesellschaft und zwar so, daß die
Gesellschaft nicht enteignet und deren Kräfte nicht gefesselt
werden.
Der Panoptismus ist die Lösung des Problems,
die Macht steigern zu können auch und gerade dort, wo sie sich
selbst unsichtbar macht. Der feudale Souverän konnte seine Macht
nur ausüben, indem er die Körper unmittelbar in seine Gewalt
nahm. Er mußte den von ihm beherrschten Körpern die Zeichen
seiner Überlegenheit aufbrennen und diese Überlegenheit immer
wieder neu beweisen. Als unsichtbare Macht kann der Panoptismus
auf die jähen, gewalttätigen und lückenhaften Verfahren
feudal-souveräner Machttechniken verzichten und dringt dennoch
bis in die elementarsten und feinsten Bestandteile der
Gesellschaft ein.
Im Kerkernetz der Institutionen
Architektonisch, also gegenständlich wurde der
Panoptismus im Gefängnis entwickelt und erprobt. Die Körper der
Gefangenen wurden auf einen einzigen Ort hin ausgerichtet, von
dem aus jeder Gefangene gesehen werden konnte die
Gefangenen selbst aber sahen den Aufseher nicht. Die Gefangenen
wußten also nicht, wann, und ob sie überhaupt beobachtet wurden
sie wußten nur, daß sie an jedem Ort und zu jeder Zeit,
der Möglichkeit nach, gesehen werden konnten. Dieses
Zusammenspiel von Wissen und Nicht-Wissen ist die Grundlage, auf
der die Gefangenen ihre Körper nach außen hin disziplinieren,
um den Aufsehern so wenig wie möglich Gründe zum Eingreifen zu
geben. Diese Disziplinierung ist aber andererseits wiederum die
Grundlage dafür, daß der Aufseher sich mittels Beobachtung,
Registrierung und Strukturierung ein Wissen von den Körpern der
Gefangenen und deren Verhaltensweisen aneignen kann, ein Wissen,
das ihm die Aufgabe der Überwachung immer mehr erleichtert.
Der allgemeine, den zeitgenössischen
Gesellschaftskörper abstrakt durchziehende Panoptismus ist das
Ergebnis dieser vom Strafvollzug ausgehenden, sich dann in
anderen Disziplinareinrichtungen wie dem Militär, der Schule,
den Spitälern, den Irrenanstalten usw. verallgemeinernden,
vielfältigen Beobachtungs- und Registrierungsmechanismen, die
nichts anderes verfolgen als zu katalogisieren und zu
strukturieren. Er gewinnt schließlich an Wirksamkeit und dringt
immer tiefer in das Verhalten der Menschen ein. Auf jedem
Machtvorsprung bildlich gesprochen in jedem Aufseher
sammelt sich ein Wissen an und deckt an allen
Oberflächen, an denen sich Macht entfaltet, neue
Erkenntnisgegenstände auf. Ausgehend von vereinzelten, diskreten
Verfahren verallgemeinern sich historisch die Techniken der
Disziplinarmächte und erzeugen den Effekt einer einheitlichen
Strategie.
Die Disziplinen, erprobt in den verschiedenen
Modellen des Strafvollzuges, welche im 18. Jahrhundert entwickelt
wurden, dringen in die innerfamiliären Beziehungen, in die
Verwaltungsapparate und sonstigen Institutionen ein und ändern
den Charakter dieser Apparate selbst: Diese haben von jetzt an
weniger die Aufgabe, den Souverän zu repräsentieren, also zu
verkörpern, sondern die, die Disziplinierungstechniken im
Gesellschaftskörper zu verallgemeinern. Sind die Körper
schließlich allseits diszipliniert, können die Mächte auf ihre
körperliche Präsenz verzichten: die Aufseher, und in ihrem
Gefolge die Souveränität selbst, können die Bühne verlassen.
Das Kerkernetz von Institutionen (vom
Sparverein bis zur Arbeitersiedlung), in denen hauptsächlich die
Unterklassen dressiert wurden, oder genauer: die darauf
basierende Machttechnik, verdrängt andere, unproduktivere
Mächte und wird universell. Nicht alle alten Machttechniken
werden dabei verdrängt: die Disziplinarmacht tritt zu anderen,
schon bestehenden hinzu, erzwingt aber neue Grenzziehungen. Sie
tritt hinzu zur Macht des Wortes und des Textes, zur Macht des
Gesetzes, zur Macht der Tradition.
In den Disziplinen kommt schließlich die Macht
der Norm zum Durchbruch. Dient der Panoptismus dazu, die Körper
beobachten, registrieren und differenzieren zu können, so stellt
die Norm die Ersetzung des Aufsehers dar, auf den hin die Körper
differenziert werden. Jede Normalisierungsmacht ist doppelt
bestimmt: Einerseits zwingt sie zur Homogenität was
seinen umfassendsten Ausdruck im System der formellen Gleichheit
findet , andererseits wirkt sie in Verbindung mit
dem Panoptismus individualisierend, da von ihr aus
Abstände gemessen, Besonderheiten fixiert und die Unterschiede
nutzbringend aufeinander abgestimmt werden können. Und das
Hauptziel aller Verfahren der Disziplinierung und Normalisierung
ist die Individualisierung, die durch den Abbruch jeder
Beziehung, die nicht von der Macht kontrolliert oder hierarchisch
geordnet ist, hervorgerufen wird.
Von einer einheitlichen, also von der
Macht darf erst gesprochen werden, wenn sie als historisch
gewordene Einheitlichkeit den gesamten Gesellschaftskörper
durchzieht. Einzelne lokale Mächte, denen gemeinsam ist, daß
sie die Körper disziplinieren, wo die anderen Mächte die
Körper gewaltsam unterwerfen, haben sich nun zu einer
gemeinsamen Finalität, zu einer einheitlich wirkenden, auf eine
einheitliche Norm hin bezogenen Strategie verketten können. Und
das Kennzeichen dieser Strategie ist, daß es sich in ihr um
Machtmechanismen handelt, die nicht durch Abschöpfung oder
Ausbeutung wirken, sondern durch Wertschöpfung. An die Stelle
des Prinzips Gewalt und Beraubung setzen die Disziplinen Milde,
Produktion und Profit.
Es stellt sich die Frage, wie in die
Disziplinarmächte die Zielgerichtetheit, die Finalität also,
hineinkommt, die es erst erlaubt, überhaupt von Strategie zu
sprechen. In Interviews auf dieses Problem angesprochen,
antwortete Foucault immer wieder ausweichend: man wisse nicht,
wer die Macht eigentlich hat, aber man wisse, wer sie nicht hat:
Es gibt keine Person und keine Klasse, von der die Macht
ausginge. Beispielhaft führt er dazu aus, daß etwa das
Gefängnis einen Effekt produziert, der im vorhinein absolut
nicht vorgesehen war und der nichts zu schaffen hat mit der
strategischen List irgendeines meta- oder transhistorischen
Subjekts, das ihn geahnt oder gewollt hätte. Die bürgerliche
Klasse habe die Strategie der Disziplinierung auf jeden Fall
nicht erfunden und der Arbeiterklasse aufgezwungen. Die
Bourgeoisie habe zwar durch alle Arten von Mechanismen und
Institutionen hindurch (etwa den Parlamentarismus, die
Informationsverarbeitung, die Verlage, die Handelsmessen, die
Universitäten usw.) groß angelegte Strategien erarbeiten
können ohne daß es indessen not täte, ihnen ein Subjekt
zu unterstellen. Die massive Übernahme von militärischen
Methoden in die industrielle Organisation sei ein Beispiel
dafür, wie sich die neuen Mächte realisieren, ohne daß hier
eine Klasse wie die Bourgeoisie als Subjekt dieses Prozesses
unterstellt werden müßte.
Die Priorität bei Foucault ist klar: Im
Verhältnis einzelner Mächte zueinander entwickelt sich eine
Strategie, die dann von den Trägern des industriellen
Produktionsprozesses nutzbar gemacht wurde. Damit konnte die
Bourgeoisie ihre Macht steigern ohne sie jedoch zu
besitzen. Darüber hinaus wird auch die Bourgeoisie selber von
diesen Mächten diszipliniert, wenn auch, dies gesteht Foucault
zu, in einer anderen Weise als das Proletariat.
Der Wissensdiskurs
Die Form, in der jede Macht ob als
Disziplinarmacht oder als eine andere es schafft, bis in
die winzigsten und individuellsten Verfahrensweisen vorzudringen,
ist der Diskurs. Auf den Diskurs als ihren Träger sind alle
Mächte angewiesen. Die Diskurse sind die strategischen Elemente,
mithilfe derer die Mächte als Mächte erst erkennbar werden.
In den Diskursen der verschiedenen
Disziplinarmächte wird, wie oben schon gesehen, Wissen erhoben,
erzeugt und formiert. Aus einer Kombination von Panoptismus und
Normalisierung wird das Prüfungsverfahren entwickelt, das die
Verallgemeinerung und vor allem die Objektivierung des in den
Disziplinen erzeugten Wissens erst ermöglicht.
Erst durch das Überziehen des
Gesellschaftskörpers mit den verschiedensten Prüfungsverfahren
wird ein abrufbereites, allgemeines und daher objektiviertes
Wissen konstituiert. Mit den Prüfungen entstehen die
Humanwissenschaften und mit ihnen tritt man in das Zeitalter der
unbegrenzten Überprüfung und der zwingenden Objektivierung ein.
Das oben schon angesprochene Kerkernetz bildet das Arsenal des
Komplexes aus Macht und Wissen, der die Humanwissenschaften
geschichtlich ermöglicht hat. Der erkennbare Mensch (seine
Seele, seine Individualität, sein Bewußtsein, sein Gewissen,
sein Verhalten usw.) ist Effekt der von den Disziplinen
ermöglichten analytischen Erfassung der Körper.
Diesen neuen Wissenschaften vom Menschen ist
gemeinsam, daß der Mensch nicht mehr als Gattungswesen
betrachtet wird, sondern als Individuum. Die Aufzeichnungs- und
Registrierungsverfahren, die Überprüfungsmechanismen, die
Formierung der Disziplinaranlagen, die Herausbildung eines neuen
Typs von Macht über die Körper, haben die Körper erst als
Individuen in das Feld des Wissens eintreten lassen. In jenen
ruhmlosen Archiven, in denen das moderne System der Zwänge gegen
die Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen erarbeitet worden
ist, hat sich die Geburt der Wissenschaften von den Menschen
zugetragen. Zu Recht weist Foucault darauf hin, daß die
empirischen Verfahren, auf die sich diese Wissenschaften wie auch
die Naturwissenschaften stützen, in den Gerichtsverfahren der
Inquisition erarbeitet und entwickelt worden sind.
Das Besondere dieser Erarbeitung von Wissen ist
nun, daß die Wissenschaften vom Menschen beständig nach etwas
Geheimem fragen, daß sie immer etwas entdecken wollen, was
hinter den besonderen, empirischen Erscheinungen steckt. Foucault
geht nun davon aus, daß es das, wonach diese Wissenschaften
fragen, das Geheime, das Wahre, das Wesen hinter den
Erscheinungen gar nicht gibt. Vielmehr seien es die Fragen der
Wissenschaft selbst, die das produzieren, was sie dann auch
finden.
Individualität etwa ist demnach das Ergebnis
der Fragen der Wissenschaft nach Individualität, ist also
nichts, was den Körpern von Natur aus eigen ist. Ähnlich
verhält es sich mit der Seele: sie entsteht als inneres
Gegenstück zu der den Körpern von außen aufgezwungenen
Disziplin: Hier wird sie produziert, um dann von den Psychologen
für die Macht genutzt werden zu können.
Als Modellfall für dieses zirkuläre
Wechselspiel der Produktion und späteren Entschleierung von
Geheimnissen gilt Foucault die Freudsche Verdrängungshypothese,
gegen die er seine Anti-Repressionshypothese entwickelt: Indem
die Psychoanalyse beständig nach dem Unbewußten fragt, indem
sie ständig über das Unbewußte redet, erzeugt sie es erst. Sie
entdeckt im Unbewußten nicht das wahre Sein des Subjektes,
ebensowenig wie die Humanwissenschaften Individualität als die
Wahrheit der Körper entdeckt haben. Der hinter jedem
Wissenwollen steckende Wille zur Wahrheit, der in der
Psychoanalyse einen seiner historischen Höhepunkte feiert, ist
ein Resultat der abendländischen Kultur und damit der
Macht.
Wahrheit und Macht
Diese Ordnung der Wahrheit ist für die
Struktur und das Funktionieren der heutigen Gesellschaft
fundamental. Die Macht produziert Wahrheitswirkungen und diese
ihrerseits reproduzieren die Macht. Indem das Wissenwollen der
Menschheit auf Wahrheit zielt, befreit es sich nicht aus den
Technologien der Macht. Die Objektivität der Erkenntnis ist
nicht der Ort der völligen Freiheit von Macht sie ist ihr
Zentrum.
Die gegenwärtige Ordnung der Wahrheit hat ihre
Geschichte: Entstanden ist die Einteilung der Diskurse in wahre
und falsche mit der Vertreibung der Sophisten bei den alten
Griechen. Diese Teilung in wahr und falsch war neu, denn der
wahre Diskurs ist von nun an nicht mehr der kostbare und
begehrenswerte Diskurs, der an die Ausübung der Macht gebunden
ist. Seit den Griechen wird im Abendland das Objektive gesucht,
wird das gesucht, was jenseits des Begehrens und Wollens vermutet
wird.
In der Marterung der Körper als Strafpraxis
vorbürgerlicher Gesellschaften ist die Verbindung von Macht und
Wahrheit, ähnlich wie im philosophischen Diskurs bei den
altgriechischen Sophisten, noch unmittelbar: Durch die Marterung
vollzieht sich die Machtausübung über die Körper und das durch
die Marterung hervorgerufene Geständnis ist der Wahrheitsbeweis.
Mit der Entkörperlichung der Macht gewinnt
auch wenn die Marterung als Folter in der Strafpraxis
nicht gänzlich verschwindet das Geständnis bei der Suche
nach Wahrheit immer mehr an Bedeutung, und zwar sowohl in der
modernen Strafpraxis, in der sich der Angeklagte mit dem
Geständnis für die Wahrheit der Untersuchung verbürgt, als
auch in der Psychoanalyse, in der sich das Geständnis der
Wahrheit in das Herz all der Verfahren eingeschrieben hat, durch
die die Macht die Individualisierung betreibt.
Besonders in seinem letzten Projekt, unter der
Überschrift: Sexualität und Wahrheit, ging es Foucault
darum, eine politische Geschichte der Wahrheit zu schreiben. Mit
ihr wollte er die traditionellen Linien der Philosophie umkehren.
Dieser traditionellen Philosophie schreibt Foucault folgende
Erkenntnisse zu: Das Geständnis befreit, die Macht zwingt zum
Schweigen, die Wahrheit gehört nicht zur Ordnung der Macht,
sondern steht in einem ursprünglichen Verhältnis zur Freiheit.
Die politische Geschichte der Wahrheit dagegen hätte zu zeigen,
daß die Wahrheit weder von Natur aus frei noch der Irrtum unfrei
ist. Daß dies so ist, werde beim Geständnis wiederum am
deutlichsten. In der Forderung nach einem Geständnis des Wahren,
ob bei der Aufklärung von Straftaten, bei der Ermittlung von
Pathologien in der Medizin oder bei der Preisgabe des Unbewußten
in der Psychoanalyse ist der Zusammenhang der Macht mit der
Wahrheit noch deutlich erkennbar.
Wahrheit wird von Foucault in ein
"Dispositiv der Macht" verwandelt. Was in der
traditionellen Philosophie am Anfang steht: die Frage nach der
Möglichkeit der Erkenntnis von Wahrheit, steht bei Foucault am
Ende: denn das, was wir heute unter Wahrheit verstehen, soll das
umfassendste Resultat der geschichtlichen Techniken der Macht
sein. Sexualität etwa ist kein Naturvermögen, ist keine von der
Wissenschaft entdeckte ewig-gültige Wahrheit des Mensch-Seins,
sie entsteht vielmehr als ein geheimes Wissen im strategischen
und politischen Zusammenspiel von Körper, Lust, Sex und Macht.
Das gemeinsame aller von Mächten erzeugten Wahrheitswirkungen
ist nun, daß in diesen Wahrheiten Mächte am Werk sind, die
wirken können, ohne daß ein Aufseher, ein Mächtiger, ein
Souverän körperlich erscheint. Denn, und das ist das allgemeine
Ergebnis der Analysen Foucaults: je unsichtbarer, und,
hinzuzufügen wäre, je einheitlicher eine Macht auftritt, um so
effektiver ist sie.
Form und Inhalt
Wahrheit, und hier liegt der entscheidende
Fehler der Mikrophysik Foucaults, ist aber nicht unabhängig von
der Form zu denken, die eine jede Wahrheit annehmen muß, will
sie allgemein als solche anerkannt werden. Eine Technologie der
Macht etwa, für die zwei und zwei fünf ist, wird jeden
Einfluß, und damit jede Fähigkeit, Körper ihrem Willen
gefügig zu machen, sofort verlieren. Von dieser Formbestimmtheit
einer jeden Wahrheit kann man aber nicht abstrahieren, wenn man
die Wahrheitswirkungen irgendeiner "Macht" analysieren
will. Wahrheit ist, zuerst einmal, nichts anderes als die
allgemeine Anerkennung der Geltung reiner Formen. Wenn Foucault
Macht in der Wahrheit entdeckt, dann entdeckt er einen bestimmten
Inhalt in einer reinen Form. Der Archäologe, der Positivist und
Empiriker, dem nur das etwas gilt, was auch erscheint, dieser
Anti-Metaphysiker Foucault sieht in der Wahrheit ein Gespenst,
das Gespenst der Macht. In einer reinen Form einen Inhalt zu
suchen, ist so okkult wie die Absicht, ein Geldstück mit den
raffiniertesten Verfahren chemisch zu analysieren, um darin am
Ende das gesellschaftliche Verhältnis zu finden das das
Geld aber seinem Wesen nach ist. Die Entstehung und
die Geltung reiner Formbestimmungen etwa die der
Mathematik ist als ein gesellschaftsbedingter Prozeß nur
dann zu verstehen, wenn man diese Formen als das ansieht, was sie
sind: Formen, in denen Machtbeziehungen also
Gesellschaftlichkeit im weitesten Sinn nicht nur
suspendiert scheinen, sondern auch suspendiert sind.
Erst über die Rekonstruktion der gesellschaftlichen
Reproduktion, erst also, wenn man einen Begriff von Totalität
hat, ist die Bedeutung zu erkennen, die die beständige
Überbrückung des Gegensatzes von Form und Inhalt für den
Zusammenhalt der bürgerlichen Gesellschaft hat.
Machtverhältnisse sind immer Resultate da hat Foucault
völlig recht. Und auch Wahrheitswirkungen mögen Resultate sein.
Die Frage ist nur: Resultat von was?
Trotz all seiner Beteuerungen, daß Macht nur
lokal existiere, kommt Foucault im Resultat nicht darum herum,
ganz allgemein zu behaupten, daß Macht von Macht erzeugt wird.
In einer jeden Form, und sei es nur in der sprachlich-nominalen
Identität von Macht und Mächten fallen Anfang und Ende,
Ausgangspunkt und Resultat, Teil und Ganzes, Besonderes und
Allgemeines zusammen. Von dieser Vertracktheit seines
Gegenstandes muß Foucault beständig abstrahieren und wird
diesem Gegenstand somit nicht gerecht. Zu sagen, Macht erzeugt
Wahrheit bzw. Wahrheit und Macht, ist dasselbe, wie zu sagen,
Geld erzeugt Geld. Durch die Gleichsetzung von Wahrheit und Macht
muß Foucault die Macht zum automatischen Subjekt der Geschichte
machen: zur Wahrheit, die Wahrheit produziert. Die moderne
bürgerliche Gesellschaft mag als ein derart tautologisches
Gebilde erscheinen mit Foucaults Machtbegriff ist sie als
eine solche Erscheinung aber nicht erklärt, geschweige auf den
Begriff gebracht. Eine solche Erklärung wäre nur möglich, wenn
gezeigt werden kann, wie aus der allgemeinen Anerkennung reiner
Formbestimmungen sich in der bürgerlichen Gesellschaft
Gewaltverhältnisse reproduzieren. Dies erfordert, neben einem
Begriff von Totalität, auch einen Begriff von negativer
Vergesellschaftung und von Verkehrung. Auf dieser Grundlage
erweist sich der Machtbegriff Foucaults als Fetischisierung des
Kapitals.
Denn wenn diese Mächte körperlos, willenlos,
also subjektlos sind, woher sonst käme dann ihr Bestreben
das ihnen allen ja gemeinsam ist sich zu steigern,
effektiver und unsichtbarer zu werden? Es mag ja noch angehen,
daß ihre Verkettung zu einer einheitlichen Strategie dem Zufall
geschuldet ist oder einem chaotischen Wechselspiel von
Zufällen und Notwendigkeiten. Das Bestreben jeder einzelnen
Macht aber, nicht ineffektiv, sondern effektiv, nicht mehr,
sondern weniger Widerstandspunkte zu produzieren, dieses
Bestreben muß Foucault als Einheit, als allgemeine Wahrheit
jeder einzelnen Macht voraussetzen. Damit aber bricht seine
Behauptung, das Allgemeine immer nur als Resultat der Verkettung
je besonderer Ereignisse analysieren zu wollen, in sich zusammen. |
Das, was allen Mächten gemeinsam ist: das Bestreben, ihre
Kräfte zu vermehren, also ein sehr menschliches,
anthropologisches Bedürfnis eigentlich, bestimmt die
Wirkungsrichtung der Macht: wie bei jeder traditionellen
Philosophie ist das Allgemeine hier Subjekt, das Besondere nur
Ausdruck dieser Subjektivität. Und in diesem Punkt: der
Zielgerichtetheit der Mächte, wären die Analysen Foucaults
etwas, was sie am wenigsten sein wollen: Anthropologie.
Der Ideologe
An all das, was Foucault an konkreten
Untersuchungen vorgelegt hat, wäre zuerst einmal die Frage zu
stellen, mit welchem Recht Foucault sich gegen totalisierende
Universalien und gegen systematische Theorien so vehement gewehrt
hat. Zugegeben sei, daß Foucault ohne Naturgesetzlichkeit, ohne
Geschichtsteleologie auskommt, daß er der Geschichte eine
allumfassende Kausalität nicht unterstellt. Fortschrittsmythen
haben bei ihm keinen Platz. Wenn man außer acht läßt, daß
auch die Aussage, alles Sein ist Werden, ontologisch ist, so
kommt Foucault sogar ohne ahistorische Prämissen aus. Aber sein
Konzept der Macht dürfte, was Einheitlichkeit, Universalität
und innere Konsistenz anbelangt, sowohl methodologisch als auch
in der inhaltlichen Ausgestaltung, als auch in der sich daran
anschließenden politischen Programmatik den Weltgeist
hegelianischer Prägung in jeder Interpretation weit in den
Schatten stellen.
Zu streiten wäre nicht darüber, daß das, was
Foucault an Ereignissen und Strategien in den Archiven
aufgestöbert hat, verglichen mit einem Marxismus, dem der
Machtanspruch im allgemeinen Wahrheits- und Objektivitätsbegriff
gar kein Problem ist, sehr viel brauchbarer ist. Auch dem
Utopismus vermögen sie in der Nachfolge Nietzsches
sehr anschaulich vorzuführen, daß hinter ihm dieselbe Macht
steht, die auch das Kapital so mächtig macht. Wer, egal in
welcher Spielart, programmatisch von der bürgerlichen
Gesellschaft verlangt, sie solle die Subsumtion besonderer
Interessen und Bedürfnisse unter eine allgemeine Macht, ob diese
nun Leben, Natur, Glück, Liebe, Arbeit, Wahrheit oder sonstwie
genannt wird, weiter treiben als sie es bisher schon treibt, der
betreibt tatsächlich genau das Geschäft des Kapitals. Das
Richtige bei Foucault ist nur zu retten, wenn man die
positivistische Konstruktion der Macht durchbricht. Geschieht
dies nicht, dann landet man unweigerlich dort, wo noch deutlicher
als Foucault Derrida gelandet ist: bei Heidegger, das heißt bei
einer Vereinheitlichung aller Differenz in einem mystischen Sein
[4], d.h.
politisch: beim Führer.
Mystik der Wertform
Kritische Theorie kann hingegen den
Machtpositivismus dechiffrieren. Was Foucault die singulären,
lokalen Mächte nennt, das läßt sich mit Marx sehr viel genauer
und von allen Mystizismen entkleidet als die
Verausgabung konkreter Arbeit im Produktionsprozeß beschreiben.
Diese konkrete Arbeit wird bekanntlich unter kapitalistischen
Produktionsbedingungen in ihr Gegenteil verkehrt: sie wird zu
abstrakter Form, sie verwandelt sich in Wert. Dieser im
Produktionsprozeß erzeugte Wert wird auf dem Markt realisiert
erscheint dort als gerechter Preis und, okkult, als Geld,
als sinnlich-übersinnliche Form. Was Foucault mit der
Universalisierung der Disziplinar- und Normalisierungsmächte
beschreibt, wäre hingegen nichts anderes als die
Verallgemeinerung der Form des Werts: die Wertform ist es, die
das Denken und Verhalten der Individuen kolonialisiert, und zwar
hinter und in den Disziplinierungen. Ihres metaphysischen
Charakters als subjektlose Mächte entledigt, kann dann all das,
was Foucault mit den Kategorien von Disziplinierung, Panoptismus,
Normalisierung und Prüfung faßt, weitgehend sogar akzeptiert
werden; allerdings mit der einen wichtigen Einschränkung, die am
Anfangsbeispiel von den Äpfeln und den Birnen verdeutlicht
werden kann: Die Disziplinen, von denen Foucault spricht,
verlangen von den Körpern nicht nur, daß diese den
Allgemeinbegriff Obst als das Gemeinsame in Apfel und Birne
akzeptieren. Wenn bei Foucault von der Ausrichtung der Körper
auf eine einheitliche, allgemeingültige Norm die Rede ist, dann
bekommt er nur diesen Aspekt der Normierung im Abstrakten in den
Blick. So richtig dieser Aspekt der Disziplinierung auch gesehen
wird: was die Disziplinierung aber schließlich erreicht, ist,
daß die Individuen den Widersinn akzeptieren, daß zwei Äpfel
genausoviel wert sind wie fünf Birnen. Und noch
wichtiger, aber um so schlimmer: daß acht Stunden private
Abtretung von Lebendigkeit an einen Kapitalisten dasselbe wert
ist wie das, was in vier Stunden gesellschaftlicher Tätigkeit
produziert werden kann. Erst die Verallgemeinerung dieser
Real-Abstraktion auf dem Gebrauchtwagenmarkt ebenso wie
auf dem Arbeitsmarkt bringt das Verhältnis von Besonderem
und Allgemeinen auf den Begriff. Weil Foucault, wie jede
Wissenschaft, nur Nominal-Abstraktionen kennt wie
die vom Obst, oder die von der Macht , muß ihm der für
die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft entscheidende
Schritt entgehen: Daß nämlich vom Kapitalismus erst gesprochen
werden kann, wenn die Realabstraktion des Tausches auch
die Produktion erfaßt hat. Erst wo die Arbeitskraft selbst zur
Ware geworden ist, sie selbst wertförmig ist und auch so denkt,
erst von diesem Zeitpunkt an können sich die Disziplinierungen
gesellschaftlich verallgemeinern, erst jetzt kann das Kapital zu
einer sich aus sich selbst heraus reproduzierenden Macht werden.
In der Verkehrung lebendiger Arbeit zu abstrakter Form im
Produktionsprozeß liegt die Grundlage, liegt das Subjekt, das Wesen
all der Mächte verborgen, von denen Foucault als angeblich
subjektlosen spricht.
In dem Maße, in dem Individuen die Geltung der
Wertform akzeptieren und als allgemeingültige Denkform für alle
Bereiche ihres Lebens verinnerlichen, in dem gleichen Maße
setzen sich in der Folge die von Foucault beschriebenen
disziplinierenden Mächte durch. Die vereinheitlichende Macht des
Kapitals, dessen Universalisierung, Anonymisierung, sowie das
Wirken des Kapitals als automatisches Subjekt in dem Macht
Macht wie Geld Geld erzeugt ist somit das Resultat eines
historischen Prozesses, der dem Kapital selbst durchaus
äußerlich ist. Das Kapital als Macht, Ausbeutung also, ist
geschichtliches Resultat eines sozialen Verhältnisses, das vom
Äquivalententausch beherrscht wird, einem Tausch, in dem selbst
weder ein Gramm Naturstoff noch irgendein Moment von Ausbeutung,
Herrschaft oder Macht enthalten ist, der eben reine Form, der
Erscheinung ist, in der ihr Wesen: auf Ausbeutung zu beruhen,
nicht erscheint und dennoch nur in eins mit ihm existieren kann.
Wer in der Nachfolge Foucaults bestreitet, daß dieses Wesen
existiere, weil es nicht erscheine, ist dagegen gezwungen, jedes
Ereignis unmittelbar als Ausdruck von Macht zu begreifen. Daß
nämlich die Macht nicht das Wesen der Sache sei, sondern im
Ereignis unmittelbar erscheine, ist eine Schutzbehauptung, deren
Unwahrheit und Widersinn offen zutage liegt: Das Geld etwa hat
eventuell "Macht" ist aber an sich vollkommen
machtlos, ist Ausdruck reiner Form und nichts anderes. Der
Positivist wird unweigerlich zum Ideologen, zum Vermittler, der
der Kritik, die nur in der Differenz von Erscheinung und Wesen
existieren kann, den Kampf angesagt hat.
"Übermensch" und
Ent-Individualisierung
Wenn man davon ausgeht, daß der
kapitalistische Produktionsprozeß die Lebendigkeit der
Individuen in das leblose Funktionieren einer abstrakten Form von
Vergesellschaftung verkehrt, wenn erkannt wird, daß dieses
Subjekt der Produktion zugleich deren Objekt ist, dann erweisen
sich die positivistischen Konsequenzen, die Foucault aus seinem
Machtkonzept ziehen muß, eindeutig als verkehrt.
Überall da, wo Foucault Mächte und Körper zu
einer bruchlosen Einheit zusammenzieht und dies ist bei
ihm in jeder Kategorie der Fall muß eigentlich immer
schon von einer realen Verkehrung der Subjekt-Objekt-Verdopplung
ausgegangen werden. Der alte philosophische
Subjekt-Objekt-Dualismus behält damit seine Gültigkeit und mit
ihr alle Kategorien des Negativen, die Foucault abzulehnen
gezwungen ist. Die Verdopplung in Mächte und Körper (oder,
medientheoretisch: die Verdopplung in totalisierende Theorie als
dem Negativen und vagabundierender Information als dem Positiven)
erweist sich als x-beliebige Hypothese, vergleichbar der vom
grünen Käse als dem Urbaustein der Materie, die für die
Beschreibung der Realität des Kapitals vollkommen unbrauchbar
ist und deshalb der kritischen Theorie keinerlei
Veranlassung geben kann, nicht weiterhin das Kapital als Unwesen,
als den Ausdruck negativer Vergesellschaftung zu denunzieren. Die
Begriffe Repression, Ausbeutung und vor allem der Begriff der
Kritik behalten nicht nur ihre Berechtigung, sondern sie sind
unverzichtbare Kategorien der herrschenden Realität. Auf der
Basis dieser Kategorien wird denn auch der in seiner Schlichtheit
zu einer Reihe von Abstrusitäten führende Charakter einer
politischen Programmatik deutlich, die sich aus dem
Positivismus-, bzw. Nominalismuskonzept notwendig ergeben.
Wer, wie Foucault, Macht als beständigen Kampf
einzelner Mächte gegeneinander definiert, hat es sehr einfach,
wenn es darum geht, zu bestimmen, was Widerstand ist. Wo Macht
ist, dort ist dann eben auch Widerstand. Und weil jeder Knoten im
umfassenden Netz der einheitlichen Macht für den Zusammenhalt
des ganzen Netzes gleich bedeutsam ist, reicht es dann aus, einen
einzigen Knoten aufzulösen, um das Ganze in die Luft zu sprengen
auf diese einfache, und für jede Erfahrung falsche Formel
gerinnt die politische Programmatik bei Foucault. Er kann aus
seinem Machtkonzept keine weiteren Kriterien zur Differenzierung
der Politik entwickeln: Nimmt man diese Formel, so hat auch der
Nazi, der sich aus den disziplinierenden Zwängen der Schule, des
Berufes etc. gelöst hat, durchaus Widerstand geleistet.
Mehr noch: Am politisch fatalen Punkt seines
Denkens scheut Foucault davor zurück, die klare Sprache seines
Vordenkers Nietzsche zu finden. In einer Hymne auf diesen spricht
Foucault etwa davon, daß die Regeln der Logik der
Machtbeziehungen in sich blind, gewalttätig und ohne
Zwecksetzung sind. Sie könnten diesem oder jenem unterworfen
werden. Das große Spiel der Geschichte gehöre dem, der in den
komplexen Mechanismus eindringt und ihn so umfunktioniert, daß
die Herrscher von ihren eigenen Regeln beherrscht werden.
Foucault verschweigt, daß Nietzsche eindeutig sagt, wer es ist,
der sich dieser blind wirkenden Regeln bemächtigt: der
Übermensch und das ist, politisch gesprochen, der
Souverän, der aus Foucaults Konzept der Macht heraus
nicht erkennbar hinter und in den Anonymisierungen und
Verallgemeinerungen der Macht sein Unwesen effektiviert und
geduldig darauf wartet, wie der Phönix aus der Asche die
bürgerliche Gesellschaft auf ihren Begriff bringen zu können.
Es kann sein, daß Foucault über diese Problematik Bescheid
wußte: aber seine Konzeption ließ es nicht zu, sich über den
Souverän der bürgerlichen Gesellschaft anders als hinter der
hohlen Hand zu äußern.
Der Positivismus von Foucault kann von Krise,
Notstand, Ausnahmestaat, Souveränität oder Führer nicht reden,
wenn diesen Begriffen keine real-existierende Person, kein
Ereignis, kein Körper, kein aktueller Diskurs zugeordnet werden
kann. Dem Positivisten, der keinerlei Gesetzlichkeit mehr kennen
mag, ist etwa die Aussage, daß der Kapitalismus seine Krisen nur
über die Zerstörung von Kapital was gleichzeitig das
elende Verrecken vieler Menschen zur Folge hat wird lösen
können, nur dann keine metaphysische, wenn dem in ihr
beschriebenen Ereignis ein empirisch-aktueller Vorgang zugeordnet
werden kann. Wenn Foucault von Faschismus spricht, muß er diesen
Begriff synonym mit dem des ganzheitlichen, totalisierenden
Diskurses gebrauchen, muß er das Problem des Faschismus
zumindest solange lediglich als ein Problem des Denkens und
Fühlens begreifen, wie der wirkliche Faschismus sich real nicht
durchgesetzt hat. Den Positivisten à la Foucault ist es
unmöglich, Faschismus, Souveränität oder Krise als Realität
zu verstehen, die die bürgerliche Gesellschaft auch dann noch
kennzeichnet, wenn ihr aktuell-empirisch nichts entspricht. Ohne
die Unterschiede verwischen zu wollen: daß demokratische
Republik und Faschismus, Volkssouveränität und Führertum zwei
Seiten ein- und derselben politischen Vergesellschaftung durch
das Kapital sind dies zu erkennen muß jedem
Anti-Dialektiker unmöglich bleiben.
Derjenige etwa, der sich berufen fühlt, den
Gulag medienwirksam anzuprangen, weil er angeblich keinen
totalisierenden Diskurs führt führt ihn schließlich
aber doch; gerade derjenige, der jeden, der sich auf Hegel oder
Marx beruft, als schuldig am Gulag verurteilt (und auch das
unsägliche "Schwarzbuch" ist von Autoren verfaßt, die
in die Traditionslinie Foucaults gehören), ist ein
antitotalitärer Apostel der blindwütigen Totalität des sich
verwertenden Werts.
Ent-Individualisierung als Programm
Denn nicht nur im Verständnis des Souveräns
rächt sich die positivistische Konzeption Foucaults. Ganz gegen
seine Absicht, keine universalistische Theorie vorzulegen, hat
sein Universalismus zu allen Teilbereichen der Gesellschaft etwas
zu sagen: zu
Staat/Ökonomie/Politik/Ethik/Ästhetik/ Wissenschaft/Philosophie
und vielem anderen mehr. Foucaults Universalismus ist aber ein
schlechter, weil er den empirischen Ereignissen nur eine einzige
Ebene der Abstraktion zugrunde legen kann: eben die der
positiven, produzierenden, wertschöpfenden Macht. Deswegen
müssen seine Untersuchungen, trotz der Fülle des in ihnen
verarbeiteten Materials, viel zu sehr pauschalieren, bekommen sie
die wirklichen Differenzierungen der bürgerlichen Wirklichkeit,
die auf sehr verschiedenen, in sich vielfach abgestuften
Abstraktionsebenen funktioniert, nicht in den Griff. Deshalb wird
schließlich von Foucault die Katastrophe, auf die die
bürgerliche Gesellschaft nicht erst zusteuert, sondern die sie
schon längst ist, zum politischen Programm erhoben. Der, der
Gesellschaftlichkeit und Individualität als die Gegner seines
politischen Kampfes ausmacht, der muß den Tod eigentlich als
Erlösung betrachten: mal angenommen, die von Foucault geforderte
Ent-Individualisierung gelingt. Wer soll dann noch irgend etwas
als Differentes, Besonderes, Konkretes oder Singuläres gegen
dessen Ausbeutung durch eine verallgemeinernde Macht zur Geltung
bringen? Die Verwirklichung des an sich richtigen Ziels, das
Besondere von seiner Beherrschung durch das Allgemeine zu
befreien, verbaut sich Foucault mit dieser seiner Forderung nach
Ent-Individualisierung. (Etwas ganz anderes wäre die
Denunziation des Subjektbegriffes; für diese Unterscheidung der
kritischen Theorie zwischen Individuum und Subjektkonstitution
ist der Foucaultianismus aber genau so blind wie alle
wissenschaftlichen Theorien des Subjekts.)
Das politische Programm Foucaults, mag es auch
noch so nichtssagend sein, ist für sich genommen allerdings noch
kein Einwand gegen die diesem Programm zugrundeliegende Theorie.
Eine Theorie ist nicht verkehrt, wenn sie der Praxis keine
Auswege aus der Misere weisen kann. Jeder Positivismus,
Moralismus, Utopismus und Idealismus steht vor dem Dilemma,
Auswege konstruieren zu müssen, die sich auf eine Analyse der
bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr stützen können. An jede
Theorie wäre aber, bevor man sich über Praxis unterhalten kann,
die Frage zu stellen, ob sie die reale Mystifikation des Kapitals
als eines sich selbst setzenden Subjekts kenntlich machen kann.
Weil Foucault sich mit dem Machtbegriff den Weg hierzu verbaut,
ist sein Konzept gescheitert und all seine ihm nachfolgenden
Adepten sind damit von vornherein auf dem "Holzweg".
Seine politische Programmatik stellt somit eine Irreführung dar,
die, zumindest stellenweise bei ihm selbst schon, bei seinen
Schülern allerdings zur Gänze, auch noch gefährlich ist.
[1] Auf der Grundlage dieser
Leugnung der Differenz von Begriff und Gegenstand kann Foucault
natürlich ebenfalls einer vernichtenden Kritik unterzogen
werden: aber in dieser Kritik braucht man auf Foucault eigentlich
gar nicht gesondert einzugehen eine Kritik an Wittgenstein
etwa wäre hier viel produktiver und würde Foucault en passant
mit erledigen. Dasselbe gilt für den Strukturalismus vor
Foucault: Mit der Abwendung von dieser Tradition hat er
keineswegs das strukturalistische "Paradigma"
verlassen, sondern lediglich dessen "Objektivismus"
denunziatorisch konsequent gegen den "Subjektivismus"
gewendet. (Mit Foucault konnte so die spontaneistische Linke
Anfang der 80er Jahre, so etwa auf dem berühmt-berüchtigten
Tunix-Kongreß, ihren Subjektivismus objektivistisch anreichern.
Dasselbe macht heute die kulturalistische Linke, wie sie etwa von
G. Jacob repräsentiert wird.) Mir geht es im folgenden um das,
was die Faszination von Foucault auf die Linke ausmacht: seine
Originalität, die, und das will diese Linke gar nicht wissen, so
"originell" zwar gar nicht ist, die sich aber, wie
alles "Neue" in der Warenwelt, durch eine Besonderheit
in der Verpackung auszeichnet.
[2] Diese Nähe seines
Machtbegriffes zum Wertbegriff des Hegelianers Marx muß der
Antihegelianer Foucault natürlich leugnen: die explizierte
Anerkennung dieser Nähe würde sein gesamtes nominalistisches
Konzept zum Einsturz bringen.
[3] Jeder wirkliche Empirist
kann da natürlich nur lachen: empirisch stimmt bei Foucault nur
selten etwas, sobald seine Darstellung über die reine
Faktizität hinausgeht: und das tut sie in jedem ihrer Momente
(und das wiederum ist erkenntnistheoretisch anders auch nicht
möglich). Beispielsweise ist das architektonische Modell, das
Foucault als Grundlage für seinen "Panoptismus" dient,
tatsächlich nie gebaut worden. Aber das soll hier nicht weiter
interessieren: kritisierbar ist Foucault, wie jeder Empirist
auch, allein in der den Ereignissen zugrundegelegten,
vereinheitlichenden und verallgemeinernden Theorie.
[4] Der Machtbegriff Foucaults
folgt logisch-strukturell genau dem Muster des Heideggerschen
Seinsbegriffes; noch evidenter tut dies Derridas Begriff der
Gerechtigkeit. In dieser Begrifflichkeit ist die Rolle des
faschistischen Führers komplett antizipiert: in ihm
personifiziert sich die anonyme, subjektlose, im Hinter- (oder
Unter-) Grund wirkende, allgegenwärtige Souveränität und wird
real. Der Führer ist, wie bei H. Arendt nachzulesen ist, nicht
der präkapitalistische, in eine Hierarchie eingebundene Tyrann,
sondern der Über-Vater, der seinen Willen in jedem Subjekt
verankert hat. Wenn Heidegger (wie Carl Schmitt) sich irgendwann
nach 33 von den Nazis "innerlich" distanzierte, dann
nicht, weil er von nun an kein Nazi mehr war, sondern aus einem
ganz anderen Grund: weil er erkannte, daß Hitler sein
Versprechen, Führer zu sein, nicht konsequent genug hat
einlösen können. Was die Adepten Heideggers als Läuterung
ausgeben, ist in Wirklichkeit nichts anderes als das konsequente
Festhalten an der nazistischen Ideologie. Wer den Grundbegriff
seiner Analysen also genau so faßt wie Heidegger, der affirmiert
dessen Logik: wie er sich konkret ausdrückt ist demgegenüber
vollkommen gleichgültig. Die Logik ist jedenfalls immer
wirkungsmächtiger als der subjektive Wille das dürfte
gerade Foucault nicht bestreiten.
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