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Redebeitrag für die Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom

am 9. November 2003 vor der in der Pogromnacht zerstörten Synagoge in der Zirkusgasse in Wien

von Café Critique

 

Am 9. November 1938 wurden in einer konzertierten Aktion im gesamten Deutschen Reich die Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert, Juden und Jüdinnen misshandelt, verhaftet und ermordet. Die von den Nazis geplante politische Inszenierung wurde von weiten Teilen der Bevölkerung begeistert aufgenommen. In dieser Nacht bekundete so die Mehrheit der Deutschen und Österreicher bzw. Österreicherinnen ihre völlige Übereinstimung mit der antisemitischen Politik der staatgewordenen nationalsozialistischen Bewegung. In einigen Städten gerieten die Pogrome derart außer Kontrolle, dass selbst Partei- und staatliche Stellen sich gezwungen sahen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. In Wien war das Ausmaß der antisemitischen Gewalt größer als in irgend einer anderen Stadt des Deutschen Reiches.
Die ganz gewöhnlichen Deutschen und Österreicher bzw. Österreicherinnen demonstrierten in dieser Nacht ihre Geschlossenheit gegen die Jüdinnen und Juden, und auch deswegen ist die Reichspogromnacht als Auftakt für die Vernichtung zu betrachten. Die deutsch-österreichische Bevölkerung stellte in dieser Nacht ganz praktisch und tatkräftig unter Beweis, dass sie Willens war, sich gegen die als "Gegenrasse" projizierten Jüdinnen und Juden zusammenzuschließen, ihren volksgemeinschaftlichen Wahn an den solcherart aus der Menschheit Ausgeschlossenen auszuagieren und ihren Vernichtungswillen gegebenenfalls auch in die Tat umzusetzen.
Dieser kollektive Zusammenschluss zu einem permanent sich verfolgt fühlenden und doch immer nur verfolgenden Kollektiv ist mit der militärischen Niederlage 1945 keineswegs zu einem Ende gekommen. Vielmehr wurde die volksgemeinschaftliche Verfassung samt dazugehörigem Wir-Gefühl in die oberflächlich demokratisierte Gesellschaft hinübergerettet, die sich solcherart als postnationalsozialistische erweist. Gerade im kollektiven, klassenübergreifenden Verschweigen der Vernichtung des europäischen Judentums bildete sich so eine eingeschworene Gemeinschaft, unter deren Dach der Antisemitismus weitgehend unangetastet weiterexistierte.
In Österreich ermöglichte diese Transformation gemeinsam mit der staatstragenden These, das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, die Bildung eines besonders verstockten Kollektivs, das weiterhin von Verfolgungswahn und Opfermythos geprägt ist. Die solcherart sich Vergemeinschaftenden agieren als "verfolgende Unschuld", ständig auf dem Sprung, in halluzinierter Notwehr gegen jene vorzugehen, die an die Vernichtung und damit das kollektiv Verschwiegene erinnern: Juden und Jüdinnen sowie Israel. Dies ist es was den besonderen Antisemitismus nach Auschwitz in den postnational-sozialistischen Gesellschaften charakterisiert.
Diese Form der nationalen Formierung ist eine kollektive, die gesamte Gesellschaft umschließende - in ihr finden Linke und Rechte zusammen, wobei der Linken oft der zweifelhafte Ruf zukommt, hierbei noch eine Vorreiterrolle einzunehmen und den Antisemitismus auf die Höhe der gesellschaftlichen Verhältnisse nach 1945 zu bringen. Wenn diese Linke etwa den 9. November als "Internationalen Tag gegen die Apartheidsmauer" etablieren will, betreibt sie damit über Geschichtsrevisionismus vermittelte Entschuldung des nationalen Kollektivs. Noch die letzten Zeichen an die von der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft verübten Verbrechen sollen zum Verschwinden gebracht werden. Jener Tag, der für die Erinnerung an das von Mob und Elite in Tateinheit begangene Verbrechen steht, soll zum Tag für die Menschenrechte und gegen Apartheid werden, und diese Transformation wendet sich wie von selbst gegen den jüdischen Staat. So betreibt die Linke in klassisch antisemitischer Manier ihre Sinnstiftung und nationale Gutwerdung mittels der Abarbeitung an jenem Gemeinwesen, auf das alle Krisenerscheinungen der kapitalistischen Vergesellschaftung projiziert werden, und das solcherart zum "Juden unter den Staaten" gemacht wird.
In Abwandlung eines Satzes von Max Horkheimer wäre zu konstatieren, dass wer vom Antisemitismus 2003 schweigen will, vom 9. November 1938 nicht reden soll. 65 Jahre nachdem der deutsche Nationalsozialismus in den Pogromen 1938 für die Welt offenkundig zu sich selbst gekommen war, erlebt der Antisemitismus in Europa eine ekelhafte Renaissance. Gewandelt haben sich dabei weniger die antisemitischen Wahnprojektionen als vielmehr deren Projektionsfläche: das als Zufluchtsort für die weltweit vom Antisemitismus Verfolgten geschaffene Israel. So hat eine vor kurzem von der EU durchgeführte Umfrage ergeben, dass 59% der EU-Bürgerinnen und Bürger Israel für die größte Bedrohung des Weltfriedens halten.
Darin sieht sich die EU im Allgemeinen und die deutsche und österreichische Gesellschaft im Speziellen im Gleichklang mit jenen Bewegungen, in denen sich die deutsche Ideologie mit ihren eine zentralen Elementen - Antisemitismus, Kollektivwahn und Selbstaufopferung - zur Zeit am virulentesten und damit tödlichsten reproduziert: dem panarabischen Nationalismus und dem politischen Islam. Es ist die Herausbildung einer globalen Intifada zu beobachten, die sich in ihrem Hass auf Amerika und ihren Kriegserklärungen an Israel immer weiter steigert und die weltweit den Kampf gegen das, was ihr jüdisch heißt, propagiert und aufnimmt. Die Sympathie der Österreicherinnen und Österreicher liegt dabei auf Seiten der Judenmörder von heute: etwa wenn 93% der Bevölkerung gegen die militärische Beseitigung faschistischen Baath-Regimes, welches den Selbstmordterror gegen Israel ideologisch und finanziell unterstützte, auftreten, oder wenn die Linke gemeinsam mit der Hamas und ähnlich gearteten Mordbrennern anlässlich des "Tag des Bodens" in Wien demonstriert und u.a. der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs auf dieser völkisch-antisemitischen Veranstaltung einen Solidaritätsredebeitrag hält.
Während die Österreicherinnen und Österreicher sich ihr "Menschenrecht" auf Kritik Israels nicht nehmen lassen wollen und gegen nichtexistierende Tabus ankämpfen, nimmt der antijüdische Krieg immer gewalttätigere Formen an. Dieser Krieg ist kein wie auch immer verkürzter Kampf gegen Unterdrückung, als der er von der Linken und Rechten unisono verteidigt wird, sondern der bewusste Akt möglichst viele Juden und Jüdinnen in den Tod zu reißen. Der bedingungslose Kollektivwahn der nur durch den Antisemitismus als ideologische Klammer zusammengehalten wird, agiert sich am zum Gegenprinzip projizierten "Weltfeind" aus. So richtete sich etwa der letzte große Anschlag auf ein Restaurant in Haifa bewusst gegen ein Restaurant, dass von linken sowie arabischen Israelis besucht wird und sollte also auch eine Warnung an diejenigen Araber und Araberinnen sein, die sich dem Kampf für die "Blutsurenge" (Marx) des völkischen Kollektivs Palästina verweigern und den Protagonisten und Protagonistinnen der Intifada demnach als Kollaborateure und "Judenfreunde" gelten.
Der permanente Jihad gegen Israel sowie Jüdinnen und Juden weltweit ist also kein zwar falscher aber doch irgendwie verständlicher Protest von Verzweifelten, als der er in Europa verharmlost bzw. zurechtgelogen wird, sondern die sich zunehmend globalisierende Form des deutschen Krisenlösungsmodells: Integration der zerfallenden Gesellschaften durch den Kampf gegen das als Imperialismus, Unterdrückung und Ausbeutung aber auch Verheißung von Glück und Emanzipation halluzinierte "jüdische Prinzip".
Wenn etwa der malaysische Präsident Mahatir Mohamad in seiner Eröffnungsrede auf dem Treffen der Organisation der Islamischen Konferenz davon spricht, dass die Juden den Sozialismus, den Kommunismus, die Menschenrechte und die Demokratie erfunden hätten und heute durch Stellvertreter die Welt regieren würden, indem sie die wichtigsten Mächte der Welt kontrollieren - und er damit so gut wie alle Topoi des modernen Antisemitismus reproduziert, so wird offensichtlich, dass, mittlerweile weltweit und globalisiert, die Fortsetzung des antijüdischen Krieges im Gange ist, den die Deutschen erstmals an sein logisches und praktisches Ende, die Vernichtung, brachten. Insofern hat der Adornosche kategorische Imperativ, "alles Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts ähnliches geschehe", nichts von seiner Dringlichkeit verloren.
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