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Der Siegfriedskopf im Arkadenhof

... oder wie die neue „Aufarbeitung der Vergangenheit“ funktioniert

Von Florian Ruttner

(erscheinen in: HochschülerInnenschaft an der Universität Wien (Hg): Völkische Verbindungen. Beiträge zum deutschnationalen Korporationsunwesen in Österreich. Wien 2009, S. 192-198)

 
Im Sommer 2006, ohne dass die Feierlichkeit an die große Glocke gehängt worden wäre (wohl aus Angst vor Auseinandersetzungen, wie noch zu erläutern sein wird), wurde ein Symbol des Rechtsextremismus an der Universität Wien, der Siegfriedskopf [1], aus der Aula in den neugestalteten Arkadenhof verlegt und, da er nicht nur neu aufgestellt, sondern auch als „Installation“ in ein künstlerisches Konzept eingebettet worden war, feierlich enthüllt. Dies geschah im Zuge der späten und halbherzigen Umsetzung eines Beschlusses des akademischen Senats bezüglich der Umgestaltung der Aula aus dem Jahre 1990.
Halbherzig deshalb, da der Beschluss noch eine Tafel mit folgendem Text an der Wand der Aula, neben der der Kopf bisher (mehr oder weniger) ruhte, vorgesehen hätte:
Für die Freiheit der Wissenschaft und die Achtung der Menschenrechte! Für ein demokratisches und unabhängiges Österreich! Gewidmet den Angehörigen der Universität Wien, die 1933—1938 [und, FR] 1938—1945 vertrieben wurden, weil sie einer bestimmten rassischen, religiösen, nationalen oder sozialen Gruppe angehörten oder weil sie für die Demokratie und ein unabhängiges Österreich eintraten. In tiefer Betroffenheit [, die, FR] Universität Wien (Davy/Vasek 1990: 4)
Man mag sich an der positiven Bestimmung der „rassischen“ Gruppe stoßen, aber immerhin wurden in diesem Beschluss noch konkrete Jahreszahlen genannt, die mit der Rolle der Universität Wien im Austrofaschismus und Nationalsozialismus verbunden sind. Diese fielen bei der aktuellen Umsetzung des Kunstprojektes unter den Tisch, und auch so wurde die Entkonkretisierung, die die ganze Neuaufstellung des Siegfriedskopfes kennzeichnet, vorangetrieben.
Denn mit der Neuaufstellung sollte die „Kontroverse Siegfriedskopf“, so der Titel des Konzepts, endlich beendet, die Streitereien um ihn dank einer „historischen Kontextualisierung“ beigelegt werden, und auch der Rektor gab in seiner Rede bei der Enthüllung der Hoffnung Ausdruck, dass diese Art künstlerischer Präsentation nun allgemeine Zustimmung finden würde und dass das Klima der Zwischenkriegszeit, das in der Aula geherrscht hätte, nun endgültig vergangen wäre. Mochte man sich damals noch der Hoffnung hingeben, die Neuaufstellung könne wenigstens den Burschenschaftern die Lust am „Farbenbummel“, vorbei an einem künstlerisch bearbeiteten Kopf, austreiben, so ist man mittlerweile eines Besseren belehrt. Der Titel des Konzepts und die Formulierungen des Rektors und der anderen Laudatoren und Laudatorinnen bei der Enthüllung legten allerdings schon damals den Verdacht nahe, dass es der Universität nicht darum gegangen ist. Die Reden und Formulierungen zur Enthüllung verweisen vielmehr darauf, wie die neue österreichische Vergangenheitsbewältigung, bei der zwar viel geredet, aber nicht das Entscheidende gesagt wird, funktioniert. Dabei soll es hier nun weniger um die konkrete künstlerische Gestaltung des Kopfes gehen, zu der von Gerhard Scheit in seinem Beitrag zu einer Podiumsdiskussion anlässlich der Umstellung schon das Nötige gesagt wurde (vgl. Scheit 2006), sondern über die Funktion, die die Redner und Rednerinnen diesem bei der Enthüllung zuordneten. Zunächst sind dafür aber einmal ein paar Ausführungen zum Komplex der „Aufarbeitung der Vergangenheit“ nötig.
Mit dem Hinweis, dass schon die Formulierung „Aufarbeitung der Vergangenheit“ eine problematische sei, leitete Theodor W. Adorno 1959 seine Überlegungen zu dem Thema ein. Diese Formulierung habe sich „während der letzten Jahre als Schlagwort höchst verdächtig gemacht“, denn damit sei „in jenem Sprachgebrauch nicht gemeint, daß man das Vergangene im Ernst verarbeite, seinen Bann breche durch helles Bewußtsein. Sondern man will einen Schlußstrich darunter ziehen und womöglich es selbst aus der Erinnerung wegwischen.“ (Adorno 1997: 555) War in den 1950ern das Problem eher noch Schweigen und mehr oder weniger verdruckste Zustimmung zu Antisemitismus und Nationalsozialismus das Problem, so hat sich in den letzten 10 Jahren der Modus geändert, in dem das Ziel verfolgt wird. Das Ziel selbst aber, einen Schlussstrich zu ziehen, ist das gleiche geblieben. Mit dem Gestus, es sei ja damals einfach eine schreckliche Zeit gewesen, werden alle Konturen verwischt, das Täterkollektiv und die Opfer durcheinander gemischt. Paradigmatisch dafür ist eine Broschüre des Bundeskanzleramts zum „Gedankenjahr 2005“, in der es heißt: „Der Zweite Weltkrieg hatte über 25 Millionen Soldaten den Tod gebracht, weitere 20 bis 30 Millionen Menschen haben als Opfer im Holocaust, bei Luftangriffen, im Widerstand und auf der Flucht ihr Leben verloren.“ (Zit. nach: Grigat 2006: 10) Der Grundgedanke: Alle waren irgendwie Opfer, der in der Gaskammer ermordete Jude genauso wie der im Luftschutzkeller verschüttete Blockwart, der vielleicht dessen Wohnung arisiert hatte. Wenn überhaupt wird von Tätern (die Rolle von Frauen als Täterinnen bleibt auf dieser Ebene ganz außen vor) in einem ganz abstrakten Sinn gesprochen, analysiert wird kaum, dafür menschelt es, dass es kracht, denn wer würde schon so unsensibel sein und das Leid von Ausgebombten ignorieren wollen? Dabei ginge es, auch das hat Adorno schon 1959 angemerkt, genau um eine Analyse von Strukturen, denn der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, daß es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zu Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern. (Adorno 1997: 555)
In Österreich fand das eine ganz besondere Ausdrucksweise: Wurde den Opfern des Nationalsozialismus ein rechtliches oder finanzielles Zugeständnis gemacht, so musste eines an die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, die auf der Täterseite standen, folgen. Das letzte Beispiel dieser Art war die Anerkennung der Wehrmachtsdeserteure als Verfolgte des Nationalsozialismus, der allerdings dann gleich eine finanzielle Zuwendung für die „Trümmerfrauen“ auf dem Fuß folgte.
Was hat das nun mit dem neuen Siegfriedskopf zu tun? Eine ganze Menge. Denn schon im Titel des Konzepts „Kontroverse Siegfriedskopf“ findet sich die gleiche Taktik des Verwischens und des ungenau Sprechens, das der Verkehrung der Rolle des Täterkollektivs und der Opfer Vorschub leistet.
Eine Kontroverse setzt zwei gleichrangige Standpunkte voraus, die diskutiert werden. Und genauso positionierten sich dann auch die Laudatoren und Laudatorinnen der Enthüllungsfeier: Da habe es damals zwei Parteien gegeben, die Burschenschafter und die antifaschistischen Studierenden, die den Siegfriedskopf für ihre jeweilige Ideologie instrumentalisiert und damit erst für Streit und Unruhe — die, von Rektor Winckler so bezeichneten, „politischen Wirren der Zwischenkriegszeit“ gesorgt hätten. Dagegen wäre nun, so der Rektor, nach der Beseitigung dieser unseligen Zwistigkeiten (schließlich wären wir ja im 21. Jahrhundert angekommen), mit der Verlegung des Siegfriedskopfes der Blick auf die im Hof stehende Statue der Castalia (einer Muse) frei, was dem hehren Anspruch einer Universität angemessener und auch deren Ruf viel zuträglicher sei. Dieser Mechanismus, Auseinandersetzungen und Erinnerungen als Last anzusehen, die dem guten Ruf schadet, fiel auch schon Adorno an seinen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen auf: Noch die psychologischen Mechanismen in der Abwehr peinlicher und unangenehmer Erinnerungen dienen höchst realitätsgerechten Zwecken. Die Abwehrenden selbst plaudern sie aus, wenn sie etwa praktischen Sinnes darauf hinweisen, daß die allzu konkrete und hartnäckige Erinnerung ans Geschehene dem deutschen Ansehen im Ausland schaden könnte. (Adorno 1997: 558)
Dementsprechend war bei den Reden das Wort Nationalsozialismus gar nicht, das Wort Antisemitismus nur ganz am Rande zu hören. Schließlich wäre die Wahrheit, dass die Universität in der Zwischenkriegszeit eine Hochburg des Antisemitismus war und ihre Rolle im Nationalsozialismus zu peinlich, genauso wie in den Reden beharrlich über die Bedeutung der Universitäten nach 1945 als Kristallisationspunkte rechtsextremer Bewegungen wie z. B. der Aktion Neue Rechte geschwiegen wurde. Der ehemalige Rektor Greisenegger, der in seiner Rede wenigstens auf die antisemitischen Ausschreitungen nach der Aufstellung des Siegfriedskopfes 1923 hinwies, die immerhin so heftig waren, dass die Universität für ein paar Tage geschlossen werden musste, meinte etwas kryptisch und verschämt, das sei in der Diskussion um den Kopf lange nicht beachtet worden. Warum nicht, und was das vielleicht mit einer Kontinuität der Eliten nach 1945 zu tun haben könnte, um diese Fragen wurde lieber ein Mantel des Schweigens gehüllt.
Genauso wenig wurde übrigens in den Reden auf die Rolle der Studierenden im Protest gegen den Siegfriedskopf eingegangen, sondern den linken Studierenden, die jahrelang auf offiziellem und inoffiziellem Wege den Siegfriedskopf skandalisierten, der Part der „Radikalinskis“ zugewiesen, der irgendwie das Spiegelbild des Parts der Burschenschafter gewesen sei. Die Reden hörend, hätte man meinen können, die Universitätsleitung selber hätte einfach, ganz ohne Anstoß von studentischer Seite, den Entschluss gefasst, den Siegfriedskopf zu verlegen.
In Reinform kam die Gleichsetzung von Opfern und Täterkollektiv allerdings in der Rede der Kunstmanagerin Angelica Bäumer zum Ausdruck. Dies fing mit einem Paukenschlag an, Bäumer zitierte Bachmann „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Bäumer 2006), in der Rede wurde dann allerdings der Wahrheit einiges zugemutet. Für sie war der Siegfriedskopf einfach ein ganz unpolitisches Denkmal für Gefallene, die auch selbst ganz unpolitisch waren, deren Tod dann von links und von recht politisch instrumentalisiert worden wäre. Die Wahrheit sei ganz einfach: es sind im 1. Weltkrieg eine Million Österreicher aus dem gesamten Habsburger Reich gefallen, in einem sinnlosen selbstzerstörerischen Krieg […] bei dem es nicht um ’Ehre, Freiheit und Vaterland‘ des Einzelnen ging,“ — als ob das die Sache besser gemacht hätte — „sondern um die Machtansprüche einiger Weniger. Was hatte der junge Student denn mit dem Krieg zu tun? […] Was hatte der Professor für Altgriechisch mit diesem Krieg zu tun? (Bäumer 2006)
Dass die meisten gefallenen Studenten sich freiwillig aus nationalem Wahn zum Militär gemeldet hatten, wollte nicht so ganz ins Bild passen und wurde deshalb nicht erwähnt. Der gesamte Langemarck-Mythos, dessen Einübung des Opfers des Lebens für den Staat, der nationale Überschwang zu Beginn des Krieges bei der Studenten- und Professorenschaft — all das wird einfach ignoriert. Dass für weite Teile der Professorenschaft repräsentativ von namhaften Soziologen patriotische Machwerke mit antisemitischer Tendenz verfasst wurden wie Werner Sombarts „Händler und Helden“ (vgl. Sombart 1915), wird ebenfalls verdrängt.
Weiter meinte Bäumer: „Der Tod macht alle Menschen gleich […] Er nivelliert alle gesellschaftlichen Unterschiede und politischen Ansichten — es soll aller gedacht werden.“ (Bäumer 2006: 2), womit die Einebnung aller Unterschiede zwischen Täter und Opfer auf den Punkt gebracht, und die Diskussion auf die menschelnde Ebene gezogen wurde. „Nach der Phrase, es käme allein auf den Menschen an, schieben sie alles den Menschen zu, was an den Verhältnissen liegt, wodurch dann wieder die Verhältnisse unbehelligt bleiben.“ (Adorno 1997: 560)
Im Nachhinein seien diese Opfer des Krieges auch noch Opfer der Lebenden geworden, denn diese „missbrauchen die Toten“ (Bäumer 2006), indem sie ihnen eben ein Denkmal widmen.
Ohne es zu wissen, und sicherlich unfreiwillig, nähert sich Bäumer mit dieser Argumentation übrigens genau den Ansichten des Bündnisses, das zu Beginn der 90er gegen den Beschluss des Senats agitierte. Die Plattform Save Our Siegfried (SOS), trotz des Namens in der Zunge des perfiden Albion deutsch bis auf die Knochen, hob in einem Informationsblatt den „unkontroversielle[n] bzw. überparteiliche[n] Charakter des Denkmals“ (SOS 1990a) hervor. Ein Proponent der Plattform, Lothar Höbelt, versuchte genauso alle politischen Implikationen mit dem Hinweis auf die Gefallenen vom Tisch zu wischen: „Ein Denkmal dient in erster Linie der Erinnerung an die Personen, denen es gewidmet ist. Daß auch der Spender damit die eine oder andere Absicht verbindet, vermag daran nichts zu ändern.“ (SOS 1990b) Auch Günther Nenning, der ebenfalls im Rahmen dieser Plattform wirkte, forderte eine Betrachtung der „GANZEN Geschichte“ jenseits „von dem üblichen Links-Rechts-Hickhack.“ (SOS 1990b)
Dass aber eben ein bestimmter Heldenkultus, der die Kämpfer des Ersten Weltkriegs verherrlichte, das „Fronterlebnis“ feierte und ganz genau zu wissen glaubte, der Dolchstoß, der das im Felde unbesiegte deutsche Heer gemeuchelt habe, sei von jüdischer Hand geführt worden, die nächste, noch unglaublich größere Barbarei vor- und zuzubereiten half, als er zunächst die Universitäten, dann die Massen ergriff, will man lieber nicht so genau wissen.
Zunächst wird lieber einmal dem allgemein-menschlichen Elend gedacht, das Ganze garniert mit ein wenig von Heidegger angehauchtem Geschwätz vom Tod, dem argen Schnitter, der alle gleichmacht, und schon verschwinden unter der Hand alle Hinweise darauf, dass es eben keineswegs so war, dass alle Opfer waren und die Täter und Täterinnen unsichtbar bzw. eben „einige Wenige“ (Bäumer 2006).
Den Höhepunkt dieser Sichtweise, die dann den Unterschied zwischen Täterkollektiv und Opfer nicht nur verschwinden lässt, sondern die Rollen gleich vertauscht, stellte dann aber folgende Äußerung Bäumers dar, die im Ton eines großen Tabubruchs vorgetragen wurde:
„Eine andere Wahrheit: es waren nicht zuletzt die Krawalle in den 20er und 30er Jahren um den Siegfriedskopf, der [sic] den deutschnationalen Burschenschaften das Motiv für ihre antisemitischen und antijüdischen Parolen und Attacken bot.“ (Ebd.)
Die Tatsache also, dass sich jüdische und linke Studierende gegen die deutschnationalen Burschenschafter zur Wehr setzten, hätte den Antisemitismus der Burschenschafter erst richtig ausgelöst. Wahr ist davon natürlich kein Wort. Schon bevor der Siegfriedskopf 1923 aufgestellt wurde, beschlossen die Deutschnationalen im Mai 1920, dass „nur ’deutscharische‘ Studenten Mitglieder der Deutschen Studentenschaft Österreich werden konnten“ (Davy/Vasek 1990: 19). Und nach den schon erwähnten Krawallen im November 1923 rechtfertigte die Deutsche Studentenschaft ihre „Empörung“ folgendermaßen: „Entgegen den Zusicherungen am Hochschultage wurde neuerdings ein Jude […] zum Dekan der medizinischen Fakultät gewählt.“ (Davy/Vasek 1990: 25)
Die alte Mär, dass der Antisemitismus kein von den Antisemiten und Antisemitinnen, sondern den Juden und Jüdinnen ausgelöstes Problem sei, feiert so fröhliche Urständ’. Auch diese Umkehr der Rollen von Täter und Opfer kritisierte Adorno:
Das Unmaß des Verübten schlägt diesem noch zur Rechtfertigung an: so etwas, tröstet sich das schlaffe Bewußtsein, könne doch nicht geschehen sein, wenn die Opfer nicht irgendwelche Veranlassung dafür gegeben hätten, und dieses vage „irgendwelche“ mag dann nach Belieben fortwuchern. (Adorno 1997: 557)
Bei genauerem Hinsehen tauchen so die alten Abwehrmechanismen in neuem Kleid auf. Unfreiwillig brachte das auch Angelica Bäumer in ihrem Schlussstatement auf den Punkt: „[V]ielleicht versteht man jetzt besser, dass dieses Objekt nicht nur ein ästhetisches Werk ist, sondern in seinem künstlerischen und spirituellen Sinn ein Denk-Mal.“ (Bäumer 2006)
Die politische Dimension, die der Siegfriedskopf immer als Symbol des Rechtsradikalismus und des Antisemitismus an der Universität hatte, muss sich wohl irgendwie in spirituelle Höhen verflüchtigt haben. Aber das war ja der Sinn des Unterfangens: Möglichst viel über eine „Kontroverse“ zu schwadronieren, ohne die Verhältnisse an der Universität und in der postnationalsozialistischen österreichischen Gesellschaft auch nur zu streifen. Dabei wäre genau das von Nöten: „Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.“ (Adorno 1997: 572) Von den Ursachen, von Nationalismus und Antisemitismus, wird allerdings geschwiegen. Lieber wird verschwurbelt stolz darauf verwiesen, „dass alles zusammen [die Neukonzeption, FR] ein eindeutiges Signal gegen jede Form des Rassismus, Aggression und Radikalität, von welcher Seite auch immer, geworden ist.“ (Bäumer 2006). Das heißt nun alles und wieder nichts, und gerade deshalb kann die Universität so gut damit leben.


Literatur:

Adorno, Theodor W. (1997): Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit. In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II, GS 10.2. Frankfurt a. M.: Fischer, S. 555—573.

Bäumer, Angelica (2006): Eröffnungsrede vom 13.8.06. Abrufbar im Forum Zeitgeschichte, 5.10.08.

Davy, Ulrike; Vasek, Thomas (1990): Der „Siegfried-Kopf“. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal in der Universität Wien, Wien: WUV.

Grigat, Stephan (Hg.) (2006): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg i. Br.: ça ira.

Scheit, Gerhard (2006): Siegfrieds Nase. Über die Neuaufstellung des „Siegfriedskopfs“ im Arkadenhof der Universität Wien. Abrufbar unter www.cafecritique.priv.at/siegfrieds_nase.html, 2.10.08.

Sombart, Werner (1915): Händler und Helden. Patriotische Besinnungen, München: Duncker & Humblot.

SOS (1990a): Flugblatt der Plattform Siegfriedskopf, 16.8.90. Zit. nach: Davy, Ulrike; Vasek, Thomas (1990): Der „Siegfried-Kopf“. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal in der Universität Wien, Wien: WUV, o. S.

SOS (1990b): Flugblatt der Plattform Siegfriedskopf, 14.10.90. Zit. nach: Davy, Ulrike; Vasek, Thomas (1990): Der „Siegfried-Kopf“. Eine Auseinandersetzung um ein Denkmal in der Universität Wien, Wien: WUV, o. S.



[1] Die historischen Hintergründe dieses Schädels und seine Rezeption bis in die 1990er Jahre sollen hier nicht ausgebreitet werden. Interessierte mögen die sehr gute geschichtliche Aufarbeitung und Quellensammlung von Davy/Vasek zu Rate ziehen. Besonders der dort dokumentierte Artikel von Grandner, Heiß et al. aus der Zeitschrift FORUM vom Dezember 1990 arbeitet die rechtsradikale Symbolik und die absurden Verteidigungsversuche des Siegfriedskopfes, die teilweise auch heute noch vorgebracht werden, sehr gut auf.
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