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"Why live, if you can be buried for ten Dollars?"

Mit Freud.

Gesellschaftskritik und Psychoanalyse




Einladung zu einer Konferenz anlässlich des 150. Geburtstags Sigmund Freuds

13. / 14. Oktober 2006
Heinz Parkus-Hörsaal (HS 8) der TU Wien
4., Karlsplatz 13
Kontakt: freud.konferenz@gmx.net
Programm

Eine Veranstaltung von Café Critique und der Studienvertretung Politikwissenschaft,
mit Unterstützung der Fakultätsvertretung Sozialwissenschaften, der StV Doktorat TU Wien und der MA 7 – Wissenschafts- und Forschungsförderung



Wir benötigen für die Dauer der Konferenz dringend Schlafplätze in Wien. Wer solche zur Verfügung stellen kann, melde sich bitte unter freud.konferenz@gmx.net.





Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht; man hat nur eingestanden, daß man einen Vorrat von unbefriedigter Libido hat, und irgend etwas anderes muß damit vorgefallen sein, eine Art Gärung, die zur Trauer und Depression führt. Großartig sind meine Aufklärungen gewiß nicht. Vielleicht weil ich selbst zu pessimistisch bin. Mir geht ein 'advertisement' im Kopf herum, das ich für das kühnste und gelungenste Stück amerikanischer Reklame halte: "Why live, if you can be buried for ten Dollars?"
Sigmund Freud an Marie Bonaparte, 13. August 1937


Zum 150. Geburtstag Sigmund Freuds fehlt neben allerlei sinnvollem Historischen nicht, was anlässlich von 100 Jahren Theodor W. Adorno schon zu erleben war: die Nutzbarmachung des Jubilars zur Aufrechterhaltung von Verhältnissen, die ihre Aufrechterhaltung nicht nur prinzipiell nicht verdienen, sondern im 20. Jahrhundert in allerletzter Konsequenz verwirkt haben. Die Gründe dafür hat der Konflikt zwischen Psychoanalyse und Gesellschaftskritik in seinen produktiven Phasen dargelegt, etwa in den Studien zu "Autorität und Familie" und zum "autoritären Charakter". Die im Gefolge von Achtundsechzig unternommenen Versuche, an die fruchtlosen Debatten um Marxismus und Psychoanalyse anzuknüpfen, deren Ziel die Psychoanalyse zur Psychologie des Sozialismus zu machen war, ermöglichten endgültig ihre Handhabung als Jargon einer alltagstauglichen Sozialpsychologie, die wiederum in die Psychoanalyse der letzten zwanzig Jahre einfloss. Während Kritische Theorie, die sich auf die Psychoanalyse stützt, stets an Freuds Orthodoxie festhielt, waren es vornehmlich Linke, die dessen Lehre revidierten und sie mit verbalradikalem Gestus von einem radikalen Medium der Aufklärung zu einem der praktischen Anpassung an die bestehenden Verhältnisse machten. Diese Revision nahm bereits zu Lebzeiten Freuds durch Alfred Adler und Wilhelm Reich ihren Ausgang und schlug sich nicht zuletzt in der wohlwollenden bis emphatischen Rezeption des Nazisymphatisanten C. G. Jung und des Heidegger-Verehrers Jacques Lacan nieder. Wesentliche Erkenntnisse der Psychoanalyse, wie die Trieblehre, die Bedeutung des Unbewussten, die Mechanismen von Verdrängung und Sublimierung sowie die infantile Sexualität, sind auf die eine oder andere Weise zurückgenommen worden, wodurch zugleich die gesellschaftskritische Wahrheit der Psychoanalyse entwertet wurde: der grundlegende, nicht aufzulösende, in der Geschichte immer andere Formen annehmende Konflikt zwischen den Trieben und der Zivilisation, dessen Produkt das Individuum ist, wurde als Anpassungskonflikt rationalisiert. So wurde den "revolutionären Vorstößen der unbequemen Psychoanalyse" (Freud) der Stachel gezogen.

Gerade an der Zurücknahme der gesellschaftskritischen Implikationen der Psychoanalyse zeigt sich auch heute ihre Verwobenheit ins falsche Ganze. Hatten die Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen jahrzehntelang bewusst zu Gesellschaftlichem geschwiegen und sich, nicht zu ihrem Nachteil, auf die Klinik konzentriert, scheint es heute so, als hätten sie nichts mehr zu sagen, als würde ihnen partout nichts mehr über gruppendynamische Weisheiten hinausgehendes einfallen. So sich Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen überhaupt zu politischen Themen äußern, scheinen sie nur das Verdikt zu bestätigen, dass sie - im besten Fall - nichts zur theoretischen Durchdringung gesellschaftlicher Phänomene beitragen können.

Freud hingegen bot Aufklärung über die Familie als Elementarform der Gesellschaft, und er stärkte zugleich das Individuum, das aus der Familie hervorgeht, gegenüber dieser Gesellschaft. Damit schuf er die Voraussetzung, die totale Zurichtung des Einzelnen für Staat und Kapital bis ins Innerste seelischer Vorgänge zu analysieren und dennoch an diesem Einzelnen als Individuum festzuhalten, das sich all dessen bewusst werden kann und soll. Noch dort, wo Freud wie z. T. beim Geschlechterverhältnis zu biologistischen Konzepten Zuflucht nimmt, behauptet sich diese Parteilichkeit fürs Individuierte. Wenn Homosexualität als dessen eigenste Möglichkeit verstanden wird, ist auch eine homophobe Psychoanalyse nicht mehr denkbar.
Daran hat jede Kritik sich zu messen, die ihrem, von Marx bis zur Kritischen Theorie geprägten Begriff gerecht werden möchte und dem Zwang des repressiven Kollektivs die freie Assoziation der Individuen entgegensetzt. Angesichts islamischer Familienmoral und jihadistischer Banden wäre es dringlichste Aufgabe der Linken, mit Hilfe der Freudschen Analyse die reaktionären Grundlagen des Islams aufzuzeigen und zu kritisieren. Patriarchale Gewalt, Triebverleugnung und Lustfeindlichkeit, Bereitschaft zum Opfer, Homophobie und Antisemitismus: dies sind die Elemente der Regression, die den Islam für den autoritären Charakter von heute, der besser ein antiautoritärer genannt werden sollte, zum derzeit attraktivsten Angebot macht. Eine Psychoanalyse wie eine Linke hingegen, die solche Repressionen unter dem Schlagwort Multikulturalismus rechtfertigen, sind auch am logischen Endpunkt ihrer Freud-Rezeption angekommen. Die Aktualität der Freudschen Analyse im Zeitalter des Suicide-Bombing und der Ehrenmorde kann nur gegen sie durchgesetzt werden.

Solche Aktualität nötigt zugleich, sich auch die unverdaulicheren Stücke der Freudschen Theorie erneut ins Bewusstsein zu rufen und auf ihren Wahrheitskern hin zu überprüfen. In Zeiten der Prosperität und des Status quo der "Supermächte" konnte die radikale Kulturkritik Freuds noch als überkommene Zutat abgetan oder als zeitgebundene Annahme relativiert werden. Mittlerweile fällt es bereits schwerer, den Todestrieb einfach zu ignorieren. Es drängen sich die alten Fragen auf: Worin liegt der Zusammenhang des Todestriebs mit dem Potential gesellschaftlicher Destruktivität? Was ist überhaupt der Todestrieb? Ist er die Hypothese, dass dem Menschen die Selbstzerstörung biologisch vorgegeben sei, und bestünde also praktische Gesellschaftskritik darin, diese Hypothese zu widerlegen? Oder ist der Todestrieb die nur in letzter Instanz und nur in äußerster Allgemeinheit fassbare, biologische Reaktionsform auf ein nicht-biologisches, sondern gesellschaftlich produziertes Schicksal, das dem eigentlichen Trieb, der Libido, widerfährt? Deutlich ist nur, dass seine Erkenntnis unmittelbar keinerlei Erklärung des einzelnen Selbstmordattentats wie der Vernichtungswut des islamischen Mobs bieten kann, aber über das hier drohende Potential, das doch die Selbstzerstörung der Menschheit beinhaltet, Aufklärung schaffen könnte.

Freuds Aktualität liegt jedenfalls genau dort, wo ihn schon viele seiner Zeitgenossen für überholt hielten. Denn keineswegs war Freuds Pessimismus die selbstzufriedene Resignation des Bürgers, noch war sie eine Einladung zur Esoterik. Es ist vielmehr die Formulierung des Selbstzweifels, auf den eine radikale Gesellschaftskritik permanent reflektieren muss, gerade wenn sie, wie in der heutigen Situation, das Schlechte gegen das Schlimmste zu verteidigen hat. Von einem können weder Gesellschaftskritik noch Psychoanalyse lassen, ohne selbst unterzugehen: dem bürgerlichen Subjekt, das sein Leiden spürt. Im allenthalben zu hörenden Lob des Tüchtigen, Zupackenden und der mit ihm einhergehenden Häme über den Zögerlichen, Abwartenden, Distanzierten, Nicht-Mitmachen-Wollenden vermittelt sich ideologisch die Tendenz einer Gesellschaft, in der selbst noch der eigene Tod zum Gegenstand ökonomischer Kalkulation wird. Diese überall anzutreffende Todessehnsucht, von Suicide-Bombing bis Sterbehilfe, auf ihren kritischen Begriff zu bringen, ist ohne Freud unmöglich. Es kann keine radikale Gesellschaftskritik ohne Psychoanalyse geben.





Freitag [13.10.]


Freud ohne Wien -
Psychoanalyse im Zeitalter des Suicide Bombing


16.30Begrüßung und Einleitung
[Alex Gruber]

[Alex Gruber] arbeitet als Historiker für den Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus. Publikationen: Der Wert des Souveräns. Zur Staatskritik des Eugen Paschukanis (mit Tobias Ofenbauer), in: Eugen Paschukanis: Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe, Freiburg 2003; Deutschland - Amerika. Die kritische Theorie im Kampf gegen Nazideutschland und die Bedeutung der USA für die Kritik, in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg 2006


I.Apologien des regressiven Kollektivs

17.00Gemeinschaftsgefühl als Ende der Psychoanalyse -
Alfred Adler und die Folgen

[Renate Göllner]

Der Bruch zwischen Freud und Alfred Adler im Jahr 1911 führte zur Entstehung der Individualpsychologie, der ersten großen revisionistischen Bewegung, deren gesellschaftlicher Einfluß im Roten Wien bedeutender war, als jener der Psychoanalyse. Ihre Popularität und ihr Naheverhältnis zur österreichischen Sozialdemokratie verdankt Adlers pädagogische Psychologie der Preisgabe grundlegender psychoanalytischer Erkenntnisse: der Trieblehre, der Bedeutung des Unbewußten, der infantilen Sexualität und der Verdrängung. Im Gegensatz zu Adlers Gemeinschaftsgefühl und dessen indirekter Affirmation staatlicher Interessen, trägt Freuds Analyse - insbesondere in der Massenpsychologie - dazu bei, das Individuum gegenüber dem Kollektiv zu stärken. Auf dieser Grundlage unterzog Siegfried Bernfeld in seiner Schrift Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung als einziger Psychoanalytiker den Erziehungsoptimismus der Sozialdemokratie einer scharfen Kritik. Es stellt nicht zuletzt die Frage, ob Adler (ohne unbedingt beim Namen genannt zu werden) nicht nachträglich und endgültig über Freud triumphiert; ob die Individualpsychologie mit ihrer Fetischisierung des "Gemeinschaftsgefühls" nicht längst die gesamte psychotherapeutische Praxis und deren Ideologisierungen erfaßt, und die Psychoanalyse endgültig beschädigt und verdrängt hat.

[Renate Göllner] lebt als Publizistin in Wien; Arbeiten zur Geschichte der Psychoanalyse, schrieb die erste Monographie über Eugenie Schwarzwald. Kein Puppenheim. Genia Schwarzwald und die Emanzipation (1999). Arbeitet zur Zeit an einem Buch über Verfolgung und Vertreibung jüdischer Schüler von Wiens Gymnasien.


18.30Wilhelm Reich oder das Unbehagen an der Abstraktion
[Horst Pankow]

Auch die Psychoanalyse erschien nach ihrer heroischen Phase im Stande der Konsolidierung vom "Kampf verschiedener Linien" gekennzeichnet. Sie brachte "linke" und "rechte" Dissidenten hervor. Zu den ersten zählt im Verständnis vieler Interessierter Wilhelm Reich, zu den zweiten C. G. Jung. Dass beide am Ende ihrer höchst unterschiedlichen Lebens- und Erkenntniswege der gleichen Passion - der halluzinatorischen Beschäftigung mit UFOs und Außerirdischen - frönten, findet hingegen selten Erwähnung. Dass für beide das vermeintliche Fehlen einer in der sog. Wirklichkeit aufzufindenden Grundlage des Unbewussten und seiner vertrackten Wunschproduktion den gemeinsamen Antrieb zur Opposition gegen Freudschen Skeptizismus darstellte, wird in der Regel be- und verschwiegen. Nachdem Jungs Antisemitismus und seine Nähe zu dessen NS-Vernichtungsvariante inzwischen weitreichend thematisiert worden sind, möchte man sich den Autor der "sexuellen Revolution" und der "Massenpsychologie des Faschismus" gern - trotz mancherlei Einschränkungen - als Ikone erhalten. Doch Reich war schon als Freud-Schüler, dann als scheiternder sexualpolitischer Reformator der stalinistischen deutschen Arbeiterbewegung ebenso wie als mad scientist einer obskuren Orgon-Therapie von biologistischen und lebensreformerischen Theoremen besessen, die ihn und viele seiner Post-68er-Anhänger in die Bereiche eines vitalistischen Autoritarismus führten. Schon früh ersetzte Reich, zunächst von Freud unbemerkt, den Terminus Sexualität durch Genitalität. War für Freud Sexualität stets mit unbewussten Assoziationen und Wünschen verknüpft, durch solche wesentlich motiviert, wollte Reich sie physiologisch verorten. Indem er so die Libido quantifizierte, sie messbar und deren Quanta (durchaus im marktökonomischen Sinne) als vergleichbare vorstellte, begründete er ein aktivistisches und normatives Programm der "Arbeits- und Liebesfähigkeit", das - wenngleich anders formuliert und wohl auch intendiert - die Nähe zu autoritären Entwürfen kaum zu verbergen vermag.

Der Publizist [Horst Pankow] lebt in Berlin und veröffentlicht u. a. in "Konkret".


20.00Psychoanalyse nach Auschwitz - Die deutsche Fähigkeit zu trauern und die französische Kur für den Souverän (Mitscherlich, Lacan)
[Gerhard Scheit]

In der Frage des Antisemitismus hatte Freud wenig Lust, "Erklärungen zu suchen", verspürte hingegen "eine starke Neigung", sich seinen "Affekten zu überlassen". Damit markierte er die Grenzen der Psychoanalyse im Zeitalter der Vernichtung. Die Neigung gilt es heute, als Reflexion dieser Grenzen, zu stärken, andernfalls endet die Freudsche Lehre bei der alten akademischen Unfähigkeit zu denken und der neuen deutschen Fähigkeit zu trauern - also bei Alexander und Margarete Mitscherlich. Deren Therapie sucht den einzelnen mit einer Gesellschaft zu versöhnen, die ja nur im besten Fall das "gemeine Unglück" und das "übliche Los der Menschheit" (H. Marcuse) bieten kann, statt ihre für alle geltenden Glücksversprechen einzulösen. Im schlechtesten Fall, in der Krise, wird dieser Leviathan zu Behemoth, das gemeine Unglück der Gesellschaft zum hysterischen Glück der Gemeinschaft, die auf Vernichtung geht und ihre eigene miteinschließt, nur damit jene Glücksversprechen für den einzelnen niemals erfüllt werden sollen: "Einverständnis mit dem Opfer seines Lebens aus Gründen, die dem menschlichen Leben sein Maß geben". Das ist wortwörtlich das Ziel der Kur, die Lacan, der Theoretiker des Todestriebs, verschreibt. Und an ihr scheitert jeder Erklärungsversuch.

[Gerhard Scheit], lebt als Publizist in Wien. Bücher: Mülltrennung. Beiträge zu Politik, Literatur und Musik (1998); Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus (1999; 2006); Meister der Krise (2001); Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt (2004); Herausgeber zweier Bände der neuen Jean Amèry-Werkausgabe: Jenseits von Schuld und Sühne, Unmeisterliche Wanderjahre, Örtlichkeiten (2002); Aufsätze zur Philosophie (2004).
Samstag [14.10.]


II.Geschlechteridentität und Repression

10.00Psychoanalyse als Gendertheorie - Freud und seine "Kritikerinnen"
[Ljiljana Radonic]

Freud beschreibt die weibliche Normalentwicklung als eine Verunmöglichung eines starken Ichs. Trotz der Implikationen biologischer Determiniertheit z.B. des Penisneides ist das psychoanalytische Modell - gesellschaftlich gewendet - zur Analyse der geschlechtsspezifischen Entwicklungsbedingungen, welchen die Individuen unterworfen sind, unverzichtbar. Eine Modifikation im Rahmen der freudschen Kategorien ist möglich und notwendig, denn ohne Begriffe wie Verdrängung, Verinnerlichung oder Identifikation ist eine Kritik, will sie für das einzelne Subjekt Partei ergreifen, nicht denkbar.
Nur scheinbar im Rahmen dieser Kategorien bleiben die Kritikerinnen der freudschen Psychoanalyse, wenn sie die Rolle des Unbewussten oder die infantile Sexualität negieren, ganz zu schweigen von der idiosynkratischen Missdeutung der freudschen Konzepte. Sogar bei Analytikerinnen vertragen sich Feminismus und Psychoanalyse nicht, eine Analyse gesellschaftlicher Zwänge, die auf das Individuum im allgemeinen und auf Frauen im besonderen wirken - ausgeschlossen. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet Judith Butler, deren mit bloßen Versatzstücken arbeitendes Ressentiment die Psychoanalyse zu Tode dekonstruiert.

[Ljiljana Radonic] ist Lehrbeauftragte am Wiener Institut für Politikwissenschaft. Publikationen: Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus Frankfurt/M. 2004; Psychopathologie der Normalität. Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Kritische Theorie, in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg 2006; Sexualität und Mutterschaft. Geschlechterverhältnisse im Nationalsozialismus, in: Jungle World 21/2006


11.30Die Dekonstruktion der sexuellen Normalität in den "Drei Abhandlungen" - Perversion und Homosexualität in der Psychoanalyse
[Martin Dannecker]

Nachgehen werde ich in meinem Vortrag Freuds Dekonstruktion der sexuellen Normalitätsvorstellungen, wobei ich mich vor allem auf die Abhandlung über die "sexuellen Abirrungen" konzentrieren werde. Beschäftigen werde ich mich folglich vor allem mit den Phänomenen männliche Homosexualität und Perversion und deren Bedeutung für das sexuell Normale. Während das sexuell Normale sich in der ersten Abhandlung bis zur Unkenntlichkeit verflüchtigt, kehrt es in den beiden anderen Abhandlungen gleichsam in entwicklungspsychologischer Gestalt wieder zurück, was zu einer bis heute in der Psychoanalyse nicht abgetragenen Ambivalenz gegenüber den nicht als normal angesehenen Sexualitäten führte.

[Martin Dannecker] arbeitete bis Ende des vergangenen Jahres als Professor für Sexualwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main. Er ist Autor zahlreicher Publikationen und Mitherausgeber der "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" sowie der "Beiträge zur Sexualforschung"


14.30Dialektik der Homophobie - Angst vorm Männerbund und Parteinahme für die Schwulen in der Kritischen Theorie
[Tjark Kunstreich]

Weil sie in ihren Annahmen zur Homosexualität sich an Freud orientiere, wird der Kritischen Theorie vorgehalten, sie sei homophob. Entsprechende Textstellen aus der "Dialektik der Aufklärung" und anderen Werken werden bis zur Ermüdung wiederholt, tatsächlich klingen sie nicht nach Freud, sondern Wilhelm Reich, der, wie viele Linke dieser Zeit, meinte, die Nazis als Homosexuelle denunzieren zu müssen. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno aber haben nicht Reichs Homophobie übernommen: Sie haben dessen verkehrten Begriff vom Faschismus als Herrschaft der Bruderhorde und der notwendigen gesellschaftlichen Homosexualität vom Kopf auf die Füße gestellt, indem sie ihn auf Freud zurückführten. Gerade dies befähigte den späten Adorno zu einer rührenden Parteinahme für das homosexuelle Individuum als Opfer jener verleugneten gesellschaftlichen Homosexualität. Der Vorwurf der Homophobie gegen die Kritische Theorie hilft, die Verleugnung aufrechtzuerhalten, die das individuelle Leid des homosexuellen Einzelnen bedingt.

[Tjark Kunstreich] lebt als Sozialarbeiter und Publizist in Berlin.
Samstag [14.10.]


16.00:Psychopathologie des Islam
[Natascha Wilting]

Was Freud lehrte, muß der Islam verdammen: Hinter der Doktrin der animalistischen Sexualität stecke ein Jude, sagt Sayyid Qutb. Die Aggressivität, erwachsen aus der eigenen Versagung, dem begehrten Verbotenen und dem verbotenen Begehrten, konzentriert sich auf das Sinnbild der westlichen Dekadenz: die Juden, von denen, wie der Begründer der Muslimbrüderschaft weiter sagt, die ganze Welt gelernt habe, "die sinnlichen Bedürfnisse zu befreien" und so die gläubigen Muslime in den Schmutz zu stoßen; auf die Israelis, deren Staat gewordene Gesellschaft den Menschen der arabischen Gemeinschaft permanent eine widersprüchliche, auf Fortschritt bedachte Kultur vor Augen führt, deren Mitglieder nach individuellem Glück streben. Da sie die westliche, in Israel konkretisierte Welt, nicht so verdrängen können wie die eigenen Triebansprüche, bleibt nur, das Begehrte zu zerstören. Die Destruktion wird zur einzig noch möglichen Annäherung ans Objekt. So werden sie nicht lassen können, nicht von Israel, nicht von der dekadenten Welt überhaupt. Daß aber in erster Linie die Juden in die reinigenden Fluten des Meeres getrieben werden müssen - das ist die Quintessenz der "islamischen Erneuerung", die dabei ist, das größte psychopathologische Kollektiv zu formen, das die Welt seit langem gesehen hat.

[Natascha Wilting] ist Redakteurin der Berliner Zeitschrift "Bahamas".


18.00Todestrieb und Politik: Politische Gewalt und islamisches Kollektiv

[Podiumsdiskussion mit Tjark Kunstreich, Florian Markl, Gerhard Scheit und Natascha Wilting]
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