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Der Kitsch, der Tod und das Lachen

Interview mit Gerhard Scheit
von Stefan Marx und Ana Ilic, 15.12. 2009

(aus: aerosol.cc 2/2010)

 
Was ist literarischer Kitsch. Es gibt diesen Ausspruch von Adorno in der "Ästhetischen Theorie": "Der Kitsch lauert in der Kunst. Er ist also kein Abfallprodukt." Wie eng ist die Verbindung zwischen moderner Literatur und Kitsch? Wie erkenne ich subtile Formen von literarischem Kitsch? Wie kann ich mich dagegen wappnen, wenn ich will?


Im Grunde denke ich, dass man da gar nicht in dieser Allgemeinheit weit kommt. Wenn man dennoch ganz allgemein über Kitsch sprechen möchte und so eine Art Definition des Kitsches versucht, aber eben mit der Einschränkung, dass man auf dieser allgemeinen Ebene nicht weiterkommt als zu den allerallgemeinsten Bestimmungen, dann könnte man sagen, Kitsch zeichnet sich dadurch aus, dass er - mit Bewusstheit würde ich sagen, obwohl man über diese Bewusstheit auch sprechen müsste, weil Kitsch entsteht ja auch aus einer gewissen Spontaneität heraus - dass Kitsch immer die Widersprüche unterdrückt; dass Kitsch darin besteht, die Widersprüche nicht zur Geltung zu bringen, nicht zuzulassen. Dadurch entsteht diese spezifische Atmosphäre des Kitschigen. Man kann nicht einmal sagen: Kitsch ist eine falsche Versöhnung, denn soweit kommt es gar nicht, dass die Widersprüche irgendwie entfaltet werden, sodass sie dann auf falsche Weise versöhnt werden könnten, sondern Kitsch lässt die Widersprüche erst gar nicht zu. Und daraus ergibt sich die Stimmung des von vornherein Versöhnten, dass also überhaupt keine Versöhnung nötig sei. Im Übrigen, das heißt: im Konkreten, kommt man, denke ich, sehr viel weiter, wenn man die Kunst als Kritik des Kitsches auffasst. In allem, was Kunst zustande bringen kann, ist sie immer die Kritik des Kitsches. Denn Kunst ist umso gewichtiger und umso verbindlicher, je mehr es ihr gelingt, die Widersprüche herauszuarbeiten und eine falsche Versöhnung als solche zu entlarven. Aber es bricht natürlich immer wieder Kitsch in die Kunst ein. Wenn ich jetzt an Drama oder Film denke, dann kann man beobachten, dass dort ein Kristallisationspunkt des Kitsches das "Happy End" ist. Da wird die Versöhnung hergestellt, mit welchen zweifelhaften Mitteln auch immer. Aber wenn sich so ein kitschiges Ende zeigt, dann wäre etwa zu beachten, was vorher bereits geschah. Inwieweit ist es vorher bereits im Text, im Drama, im Stück, in der Komödie oder auch im Film gelungen, die Widersprüche zu entwickeln, Widersprüche, wie sie in der Beziehung zwischen den Geschlechtern, innerhalb der Familie, zwischen den Klassen im Staat, zwischen Individuum und Gesellschaft in den unterschiedlichsten Formen auftreten? Wie sind sie zur Geltung gebracht, ehe sie dann auf diese kitschige Art und Weise wieder harmonisiert werden. Wenn man sich musikalisches Material ansieht, hat man es hier mit ganz ähnlichen Konstellationen zu tun. Aber übersetzt ins Musikalische heißt das etwa für die Wiener Klassik und ihre unmittelbare Nachfolge und reduziert auf die Dimension der Harmonielehre: Wie weit hat sich die Musik vorgewagt, die vom Grundtondreiklang ausgeht? Wie weit hat sie sich vorgewagt zur Dissonanz und auf welche Weise restituiert sie dann wieder die Grundtonart? Ich denke, das ist ein wirklich nützliche Fragestellung, Kunst und Kitsch immer wieder zu konfrontieren, und es ist ja auch so, dass anders als die große Kunst der Renaissance und die frühe bürgerliche Kunst insgesamt, die sich ja gewissermaßen an den Mythen der Religion abgearbeitet hat, die von dort her ihre Stoffe auch bezogen hat, die Kunst heute es in jedem Fall von ihren Stoffen und ihrem Material her immer auch mit Kitsch zu tun. Also sie kommt gar nicht herum, sich mit Kitsch auseinanderzusetzen. Das sind die Mythen der heutigen Zeit. Sie muss zurückgreifen auf die Produkte der Kulturindustrie, um dann eben diese falsche Auflösung der Widersprüche oder besser gesagt, dieses Bestreben, das innerhalb der Kulturindustrie und innerhalb des Kitsches zu bemerken ist, die Widersprüche überhaupt nicht wahrzunehmen, zu revidieren, den Kitsch zu brechen. Das ist etwas, das schon sehr früh in der Moderne zu beobachten ist. Ich denke etwa an die Musik von Gustav Mahler, weil ich mich damit gerade näher beschäftigt habe: sie arbeitet mit sozusagen banalen Themen, mit trivialen Elementen, die damals in den frühen Formen der Kulturindustrie bereits vorhanden waren, Operettenproduktion und Walzerseligkeit. Solche Elemente werden von Mahler ganz bewusst aufgegriffen und durch frühe Formen von Montagetechnik und spezifisch musikalischen Verfremdungseffekten konterkariert. Oder man denke in der Geschichte des Dramas an Ödön von Horvath, der so ausgiebig Klischees aufgreift, um sie auszustellen, das Publikum zwingt, sich einzugestehen, wie nahe es im eigenen Bewusstsein diesen Klischees doch ist. Bei Brecht kann man das sehen, natürlich bei Samuel Beckett. Das heißt, in der Moderne beginnt erst die tiefste Konfrontation zwischen Kunst und Kitsch. Umgekehrt versinkt natürlich vieles, was einmal Kunst war, im Kitsch. Der Kitsch lebt von untergegangenen Kunstformen - Kunstformen, die nicht mehr im Stande sind, die dominant gewordenen Widersprüche zu artikulieren. Also die Schlagermusik verwendet weiter die Tonalität, als wäre nichts passiert; meidet die Dissonanz noch mehr, als das Mozart je getan hat, oder Haydn, oder Bach; wird also noch tonaler als die tonale Musik jemals war: als wollte sie sagen: nur keine Dissonanz, damit nicht die geringste Trübung dieser Harmonie erzeugt wird. Ganz ähnlich die Filmproduktion: Die großen Kassenschlager leben davon, dass sie die alten Liebes- und Kriminalgeschichten in einer Weise bringen, die schon bei Shakespeares Komödien und Tragödien, die eigentlich immer obsolet war: die Konflikte, wie sich dabei etwa ergeben, sind nur noch der Anlass dafür, über die Welt wie sie ist, sich hinwegzutäuschen: indem man einfach nur zusieht, wie ein Paar sich küsst oder ein Kommissar einen Verbrecher erschießt. Dazu natürlich die entsprechende Filmmusik.


Das ist also eine passive Funktion, die der Kitsch ausübt. Wenn die Kunst richtig über ihn reflektiert, dann liefert er ihr den Stoff?


Ja, unfreiwillig, würde ich sagen. Man kommt als Künstler nicht darum herum, sich mit dem Kitsch auseinanderzusetzen. Das sind die Tagträume, die in uns allen stecken.


Hermann Broch sagt ja: "Das Böse in der Kunst ist der Kitsch".


Das ist sehr moralisch ausgedrückt.


Ja. Er arbeitet das so heraus: der künstlerische Ausdruck liegt für ihn in der Spannung zwischen Gut und Böse in der Kunst. Jetzt wäre die Frage: sind Gut und Böse Kategorien der Ästhetik?


Nein, das ist die Broch'sche moralische Auffassung von Ästhetik, die so einen neokonservativen Zug hat, das meine ich durchaus sympathisierend. Aber "Gut" und "Böse" sind natürlich entweder religiöse oder moralische Kategorien und machen in der Ästhetik nur dann Sinn, wenn sie durchsichtig sind auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Das sollten sie übrigens auch in der moralischen Reflexion sein. Die Gefahr dieser Bewertung besteht darin, dass sie nicht mehr durchblicken lässt auf die Widersprüche in diesen Verhältnissen, dass sie sich davon zu verselbständigen droht. Das Bemerkenswerte der Ästhetik von Adorno, wie überhaupt der Kritischen Theorie, liegt wiederum darin, dass sie auf den "Wert", die Berufung auf "die Werte", verzichten kann; also natürlich nicht auf den Begriff des Werts im Sinne der Marxschen Wertformanalyse, im Gegenteil, ohne diese kritische Kategorie des Tauschwerts bzw. Werts, keine kritische Theorie. Worauf sie verzichten kann, ist die Rede von "den Werten", die "verteidigt werden müssen", "unsere Werte", "Leitkultur" usw. Sie versucht hingegen nur ex negativo das ausdrücken, was zu verteidigen wäre, um das Schlimmste zu verhindern. Sie spricht also von den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie kritisiert, die sie nicht zuletzt eben deshalb kritisiert, weil sie diese Möglichkeit des Schlimmsten, die jeder seit Auschwitz vor Augen haben muss, ständig neu hervorbringt. Denn in Wirklichkeit kommt man ja gerade, wenn man die politische Urteilskraft schärfen möchte, um dieses Äußerste zu verhindern, nicht darum herum, die Verhältnisse, die Mechanismen von Ausbeutung, Unterdrückung und Erniedrigung, aufzuschlüsseln, um sichtbar zu machen, dass sie, da unabsehbar vermittelt, in ihrem Zusammenhang abstrakt geworden sind, aber dass sie eben als abstrakte fürs Individuum auch dieses "Minimum an Freiheit", von dem Franz Neumann spricht, enthalten, das es zu bewahren gilt, um des bloßen Überlebens willen, darum, dass Auschwitz oder etwas Ähnliches nicht sich wiederholt. Dieses "Minimum an Freiheit", das ist so ein negativer Ausdruck, der signifikant ist für kritische Theorie. Neumann spricht ja auch von der "negativen Allgemeinheit" des Rechts. Betrachtet man die gesellschaftlichen Verhältnisse also nach Maßgabe solcher Negativität, dann lässt sich überhaupt erst ein politisches Urteil bilden, das den politischen Konstellationen gemäß ist. Und so würde ich sagen, was Broch meint, wäre übersetzt ins Gesellschaftliche eben nichts anderes als die gesellschaftlichen Widersprüche, die die Kunst zum Ausdruck bringen muss und wenn sie das nicht tut, wenn die gesellschaftlichen Widersprüche in der Kunst nicht ausgetragen werden, ist es wieder nur Kitsch. Ich denke aber, man muss hier sofort auch auf die Frage Inhalt und Form zu sprechen kommen, um sich klar zu machen, mit welchen Widersprüchen man es zu tun hat. Es handelt sich eben nicht nur um die Inhalte, sondern auch darum, in welcher Form die Widersprüche dargestellt werden, sodass die Kunst sich selber im Widerspruch zur Gesellschaft behaupten kann. Der direkte Protest lässt ja die Reflexion darauf vermissen, dass der Protestierende in irgendeiner Form ja selbst noch eingebunden ist in das, wogegen er protestiert. Das macht die sogenannte politisch engagierte Kunst selber unerhört anfällig für den Kitsch. Aber wahr ist, dass den Gegenstand minutiös, in diesem beschränkten Sinn: wahrheitsgetreu, abzubilden, mit allen Differenzierungen und Schattierungen, die man vorfindet, nicht schon von künstlerischem Belang wäre, sondern, dass die Kunst selber - in der Art und Weise ihre Darstellung, in der Form - zum Widerspruch wird: das heißt Form und Inhalt gehen nicht ineinander auf, fallen nicht zur reinen Identität zusammen. In jedem wirklichen Kunstwerk manifestiert sich die Differenz zwischen Form und Inhalt. So verselbständigt sich etwa der Dialog im Drama gegenüber dem Inhalt, der eigentlich dargestellt werden soll, und bringt andere, abweichende Inhalte hervor. Der Inhalt einer Tragödie ist doch, dass dem Tod Sinn gegeben wird, das ist der ideologische Kern des dargestellten Inhalts; die Form, die dabei die einzelnen Individuen sich gegeneinander aussprechen lässt, durchbricht diese Sinngebung und daraus entsteht überhaupt erst etwas wie Kunst. Das ließe sich im einzelnen etwa an Shakespeares "Hamlet" oder an Büchners "Dantons Tod", aber auch an Brechts "Heiliger Johanna der Schlachthöfe" herausarbeiten, mit dem Unterschied allerdings, dass bei Shakespeare zuletzt doch noch die Sinngebung mit dem neu eintreffenden Herrscher erfolgt, bei Brecht übrigens wieder durch die hier bereits als prospektiver Souverän auftauchende Arbeiterklasse, während das unvergleichlich Moderne an Büchners Stück darin besteht, dieses tragische Happy End, die Hochzeit des Individuums mit dem Souverän, bis zuletzt zu sabotieren. Es könnte aber ebenso bei der ganz und gar anders gelagerten Form-Inhalt-Beziehung eines Bildes oder eines Musikstücks gezeigt werden. (Ich greife nur deshalb hier zum Drama, weil es doch die der Politik am nächsten stehende Form ist.) Man könnte auch sagen: der Inhalt bleibt nicht bei sich selbst, durch die Form, in der er dargestellt wird; so wird das Nichtidentische überall eingeschmuggelt, wo immer die Form zur Geltung kommen und bewusst werden kann. Und dadurch wird auch der Panzer von Klischees durchbrochen, den jeder hat, damit ihn die Widersprüche, denen er ausgesetzt ist, nicht verletzen.


In der Kunst ist man ungeschützt?


Die Klischees schützen einen. Nippes erzeugt Harmonie. Die kitschigen Gegenstände, die mich schützen, die Ornamentik, all das erzeugt eine verlogene Idylle und verdeckt die Funktionalität der Gegenstände. Denn man fühlt sich offenbar bereits von der Funktionalität der Dinge in Frage gestellt. Und der Kitsch überzieht die Gegenstände mit seinen Ornamenten und Figürchen und Blümchen und was auch immer, damit die Funktionalität des Dings nicht ins Auge sticht, denn das wird bereits als Bedrohung empfunden. Das könnte einen ja darauf bringen, die Welt vernünftig einzurichten. Damit würde man sich aber in einen Widerspruch begeben zu der Gesellschaft, wie sie besteht und deshalb empfindet man sogar das schon als Bedrohung, wenn man es recht gemütlich haben will. Weil man immer wieder einen Zufluchtsort sucht, wo man endlich Ruhe hat von den Widersprüchen, die man nicht mehr länger aushalten will.


Das setzt sich bei Broch weiter fort in der Bezeichnung des Erzeugers von Kitsch nicht als "Nichts-Könner", sondern bei Broch ist dieser ein "Verbrecher".


Das ist wieder dieses Moralische. Es erinnert übrigens an Adolf Loos: "Das Ornament als Verbrechen".


Das würde mich aber interessieren. Ist das nicht eine konsequente Fortsetzung des Gedankens, wenn Saul Friedländer in seinem Buch "Kitsch und Tod" diesen Edelkitsch, der nur in Verbindung mit einer Weltuntergangsphantasie seine Wirkung entfalten kann oder könnte, analysiert. Wo er den Kitsch als politische Kategorie annimmt, wo es dann nicht mehr um einen künstlerischen Anspruch von "Können" oder "nicht Können" geht, sondern manifest darum, ob jemand verbrecherisch tätig ist oder nicht?


Ja, nur die Provokation von Loos oder Broch liegt natürlich darin, alles in eins zu setzen. Das Ornament, der Kitsch als Verbrechen. Es ist natürlich wahr, dass der Kitsch tatsächlich so etwas sein kann, aber zugleich muss man radikal differenzieren. Und diese Differenzierung muss erfolgen durch politische Theorie, also durch ein Bewusstsein davon, was Kitsch in der Politik bedeutet im Unterschied zu Kitsch im Haushalt, Alltag, Wohnen, Kino. Was in einer Hinsicht ein bloßer Übergang ist, ist in anderer ein Unterschied ums Ganze. Zum wirklichen Verbrechen kann Kitsch erst in der Politik werden, denn dort dient er der Ästhetisierung der in jedem Moment real vorhandenen Gewalt. So haben auch das Äußerste an Kitsch die Nationalsozialisten zustande gebracht, da sie am konsequentesten die Politik ästhetisiert haben. Und es ging auch gar nicht anders. Es war ein immanenter Bestandteil ihres politischen Systems, wenn man das als System überhaupt bezeichnen kann. Denn die Ausrichtung der ganzen Gesellschaft auf den Vernichtungskrieg, der dann auch die Bereitschaft zum Selbstopfer einschließen muss, ist überhaupt nur möglich, wenn der Tod, oder wie Carl Schmitt sagt: "Tötungsbereitschaft und Todesbereitschaft" in einem zum Kern der Ästhetisierung wird.


Du hast vorher Brecht erwähnt. Du hast in deinem Buch "Suicide Attack" ein Kapitel, das "Wider die Ästhetisierung des Selbstopfers" heißt, wo du unter anderem Brecht besprichst. Die "Maßnahme", die Bereitschaft zu Opfer und Selbstopfer, die durch die Unterordnung des Individuums unter ein Kollektiv erfolgt, das dann eben, wie du schreibst, laut Brecht keine Rücksicht auf die in ihm vereinten Einzelleben nehmen darf, wenn es seinen Bestand sichern will. Brauchen politische Kollektive den Kitsch? Welche Funktion erfüllt der Kitsch für die politische Organisation?


Das kann man durchaus in dieser Allgemeinheit formulieren, dass politische Kollektive den Kitsch brauchen. Zugleich würde ich aber wieder differenzieren wollen zwischen den verschiedenen Kollektiven, die es im Politischen gibt. Das hängt davon ab, wie sich die Einheit des Kollektivs jeweils zum Individuum verhält, wie sie sich ihm gegenüber zur Geltung bringt; was das Kollektiv also aus den Individuen macht und was die Individuen mit sich selbst machen in einem bestimmten Kollektiv. Diese Unterscheidungen muss man machen, sogar wenn man Brechts "Maßnahme" ins Auge fasst, in der es unzweifelhaft durchgängig diese Ästhetisierung des Selbstopfers gibt im Unterschied zu der erwähnten "Johanna der Schlachthöfe". Man vergleiche Brechts "Maßnahme" mit Nazipropaganda oder mit stalinistischer Propaganda. Dieses "Lehrstück" provoziert dadurch, dass es ausspricht, was die Propaganda, damit die Individuen sich einfacher selbst belügen können, lieber verschweigt. Zugleich muss man aber festhalten, dass Brecht damit selbst zum Stalinisten geworden ist und dass es ihn dann nicht wenig Anstrengung gekostet hat, davon wieder wegzukommen und diese Idolatrie des Selbstopfers, die eine solche Ästhetisierung bedeutet, in Zweifel zu ziehen.


In der Dramaturgie des Antisemitismus sprichst du von einer "Ästhetisierung des Souveräns". Die geht für dich zusammen mit einer besonderen Lust im Sinne des Antisemitismus an der "Imitation der Geächteten". Hat diese Imitation über ihre politische Dimension hinaus eine Charakteristik als ein bestimmtes Kunstsystems? Du schreibst, dass es bestimmte Charakteristiken der Dramatik nach 1945 gibt. Du schreibst da: "das Schicksal der Juden wird erzählt, nicht dargestellt". Du schreibst von einer "Scheu", Judenfiguren darzustellen.


Was ich damit gemeint habe, ist, dass die Imitation, das Nachmachen der Juden, einmal ein wesentliches Merkmal des Antisemitismus war. Im antijüdischen Witz genauso wie auf der Bühne oder im Film. Das war ganz essentiell für den Antisemitismus in seiner Ursprungsphase. So kann man an das Vorige anknüpfend durchaus sagen, dass in antisemitischen Darstellungen das Verbrecherische des Kitsches mit Händen zu greifen ist, weil die Widersprüche, die Konflikte, das Unversöhnte der Gesellschaft, in der man lebt, dadurch beseitigt werden, dass die Figur "des Juden" als "das Böse" schlechthin stigmatisiert wird. Auf diese Figur des Juden wird projiziert, was man an der Gesellschaft nicht erträgt, um dadurch die eigene Abhängigkeit von abstrakt gewordenen gesellschaftlichen Verhältnissen auszuagieren. Indem man sich "den Juden" als "das Böse" katexochen vormacht und die jüdische Weltverschwörung als Ursache für alles Schlechte in der Welt vorspiegelt und vorgaukelt, glaubt man der Ursache dessen, worunter man leidet, habhaft zu werden. Das ist die Dramaturgie des Antisemitismus. Je abstrakter die gesellschaftlichen Verhältnisse wurden, je mehr sich die Geldwirtschaft sich entwickelt, das Kapitalverhältnis die Gesellschaft durchdrungen hat, desto größer wurde das Bedürfnis, die Abstraktheit der Verhältnisse zu personifizieren. Marx schreibt auch wörtlich (in den "Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie"): "dass die Individuen nun von Abstraktionen beherrscht werden, während sie früher voneinander abhingen" - und meint mit diesen realen Abstraktionen das Kapitalverhältnis. Umso größer diese Beherrschung durch Abstraktionen, umso größer das Bedürfnis, sie zu personifizieren, damit der Grund, warum man leidet, greifbar wird und vor allem: tötbar. Das ist der Mechanismus der antisemitischen Projektion. Dass man ihm aber nachgibt und die Juden dafür hasst, dass man sich selbst belügt, dazu bedarf es einer Entscheidung, die jeder einzelne trifft und die im Grunde nicht erklärbar ist, nicht verständlich gemacht werden kann. Das ist das Wahrheitsmoment der Rede von Gut und Böse. Wie Sartre sagt: "Der Antisemitismus ist eine freie und totale Wahl, eine umfassende Haltung, die man nicht nur den Juden, sondern den Menschen im allgemeinen, der Geschichte und der Gesellschaft gegenüber einnimmt." Alle diese Judenfiguren sind Lehrbeispiele des verbrecherischen Kitsches. Das berühmteste Beispiel einer solchen projektiven Darstellung scheint die Figur des Shylock aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig" zu sein - und doch ist er kein Beispiel dafür. Nicht deshalb, weil das Kapitalverhältnis zu Shakespeares Zeiten noch in den Kinderschuhen steckte, die Mechanismen des antisemitischen Wahns funktionieren schon ganz gut in diesem Stück. Zugleich aber durchbricht Shakespeare auch an bestimmten Stellen diese Projektionsmechanismen, und dann löst er auch das mörderische Klischee des habgierigen Juden auf. Dort nämlich, wo er den Dialog wirklich zur Entfaltung bringt, den Dialog zwischen dem christlichen Kaufmann und dem jüdischen Wucherer, dort zerbricht die Projektion, oder sie wird durchsichtig gemacht, denn es gelingt Shylock, indem er in den Konflikt tritt, indem sich dieser Konflikt auch verselbstständigt gegenüber den Klischees, sichtbar zu machen, welche Bedürfnisse die Christen eigentlich haben, wenn sie "den Juden" auf diese oder jene Weise stigmatisieren; welche geheimen, eigenen Wünsche dahinter stecken, wenn sie so schlecht von den Juden reden. Und da geht Shakespeare über eine antisemitische Darstellung hinaus. Es bleibt natürlich trotzdem ein zutiefst problematisches Stück, was mit dem Handlungsverlauf und der idyllischen Gegenhandlung zu tun hat.


Zuletzt habe ich noch eine Frage, die sich auf den Hauptdarsteller aus deinem Buch "Hanswurst und der Staat" bezieht. Du schreibst, das Fernsehen wäre der neue "Wurstel" und die Haupt- und Staatsaktion fände in der modernen Mediengesellschaft in den Massenmedien statt und nicht mehr im Theater. Diese Rolle der neuen Medien, kann diese die Rolle des Kitsches beeinflussen. Ist der Kitsch im Fernsehen ein anderer als der in der Literatur beziehungsweise nimmt er andere politische Ästhetisierungen vor. Macht das überhaupt Sinn, danach zu fragen? Wäre ein Stück wie Shylock in unserer aktuellen österreichischen Gesellschaft als Film, als eine neue Produktion etwas anderes? Angenommen der ORF produziert Soko-Donau und das Thema ist ein solches.


Nein. Ein solches Thema meidet man weitgehend, weil man da in des Teufels Küche kommt.
Das eine wäre, dass Literatur gar nicht umhin kann, sich mit den Produktionen der neuen Medien, der Massenmedien zu konfrontieren. Sie kann nicht umhin, die Erzeugnisse der Kulturindustrie als Material zu verwenden. Das ist die Ausgangslage für die moderne Kunst. Im Hanswurstbuch habe ich das Fernsehen mit der Hanswurstfigur verglichen. Das geschah aber zu dem Zweck, deutlich zu machen, dass im Fernsehen eine ähnliche Regression stattfindet wie in der Figur des Hanswurst. Es wird eine Unmittelbarkeit erzeugt, die Reflexion entbehrlich macht. Die technisch äußert aufwendig erzeugte Unmittelbarkeit der Bilder, diese von aller Inhalt-Form-Problematik und allem Nichtidentischen gereinigte Einheit von Bild und Ton, dieser allumfassende Eindruck der Aktualität, das ist wahrscheinlich der ideologische Kern des Fernsehens, und ist so überwältigend, dass die Reflexionsfähigkeit gar nicht dazwischen kommen kann. Die Frage ist, ob da die Bezeichnung Kitsch überhaupt noch einen Sinn macht. Dieses vollständige Überwältigt-Werden durch die Aktualität; dieses Gefühl dabei zu sein, obwohl man ja eigentlich nicht dabei ist; die Art und Weise, wie man persönlich angesprochen wird, obwohl man persönlich gar nicht gemeint sein kann... Günther Anders hat in dieser Hinsicht eine luzide Phänomenologie des Fernsehens entworfen in seinem berühmten Buch "Die Antiquiertheit des Menschen".


Für Anders erzeugt das den Masseneremiten.


Genau. Du fühlst dich da persönlich anwesend und weißt aber zugleich, dass du abwesend und überflüssig bist. Vielleicht kann man das gar nicht mehr unter der Kategorie des Kitsches fassen, weil es eben allumfassend ist. Der Kitsch kann den Vorteil haben, obwohl er überall in den Alltag einziehen kann und das Wohnen bestimmt und so weiter, trotzdem noch abgrenzbar zu sein - also man kann ihn eingrenzen auf diesen oder jenen Gegenstand. Beim Fernsehen geht das nicht mehr, weil das Fernsehen eine Totalität bedeutet. Indem der Kitsch im Fernsehen total wird, kann man ihn gar nicht mehr als kitschig auffassen. Darin gleicht das Fernsehen der Ästhetisierung der Politik,


Braucht es dann eine neue Kategorie. Gibt's Fernsehkitsch?


Man kann natürlich damit dann doch auch wieder unterscheiden zwischen diversen Serien. Gerade die, die so altmodisch daherkommen, also gerade die deutschen Serien und die österreichischen, das "Traumschiff" oder ähnlicher Schmonzes, die wären dann als Inbegriff des Fernsehkitsches zu bezeichnen. Warum? Weil sie altmodische Formen verwenden. Während die Sitcom aus Amerika …


Du hast über "King of Queens" geschrieben …


… ja, die würde man wahrscheinlich nicht im selben Maß als Kitsch bezeichnen wollen wie das "Traumschiff". Warum? Weil hier vielleicht ein Hauch von einem Gegensatz noch aufscheint in den Dialogen zwischen Armen und Reichen, Mann und Frau, Schwarzen und Weißen, Schwulen und Heterosexuellen. Insofern kann man wahrscheinlich Kitsch dann doch noch als eine Kategorie zur Differenzierung innerhalb des Fernsehprogramms verwenden, wenn man sich überhaupt darauf einlässt, diese Dinge zu unterscheiden.


Kennst du die Sendung "Willkommen Österreich"? Es gab früher ein Nachmittagsprogramm, das wäre eher dem Kitsch zuzuordnen, weil es eine unheimliche Gemütlichkeit vermittelt hat, wo man eigentlich eine Nachmittagsbetreuung für ältere Leute gehabt hat. In dem Programm "Donnerstag Nacht" tut der ORF momentan so, als gäbe es da keine Regeln und es treten Kabarettisten wie Alfred Dorfer auf und die machen sich über den ORF lustig. Dadurch wird eben diese Freiheit suggeriert.


Ja, wie Fasching oder Fastnacht.


Kennst du Sterman und Grisseman?


Ja. Ich habe sie aber nur einmal kurz gesehen.


Da müsste man doch fragen, ob man da nicht doppelt reingelegt wird. Oder sich Universum anzuschauen und sich zu denken, da wäre das anders. Also da werde ich nicht nur bekitscht, sondern das hat ja einen Sinn. Sterman und Grissemann interessieren deshalb, weil sie nicht mehr in Kärnten auftreten dürfen, nachdem sie nach dem Unfall des ehemaligen Landeshauptmanns nicht betrauert, sondern in ihrer Sendung zum Thema gemacht haben und gesagt haben: "Naja der war ja betrunken."


Lässt sich so ein Auftritt überhaupt durch eine Landesregierung unterbinden?


In Kärnten wahrscheinlich schon.


(Lachen)


Oder ist das nur eine Werbestrategie?


Ja, das ist die Frage. Es suggeriert, so widerständig zu sein und ist auch beim Zuschauen auch auf diese Art und Weise unterhaltsam. Das funktioniert manchmal auch.


Manchen Fernsehakteuren gelingt es tatsächlich, gesellschaftliche Verhältnisse sichtbar zu machen. Sogar manchen Kabarettisten. Aber die Form des Kabaretts ist an sich bloßes Kunstgewerbe, also eine Form, die erst negiert werden muss, um gesellschaftliche Widersprüche zur Geltung bringen zu können. Denn im Genre des Kabaretts ist so ein Einverständnis zwischen Publikum und Kabarettisten von vornherein gesetzt: das Einverständnis, dass es lustig sein soll. Das ist die Form, die durchbrochen werden muss. Und selbst die Provokation - jeder Kabarettist provoziert auch ein bisschen das Publikum - gehört fast schon zu diesem Apriori, setzt selber das Einverständnis zwischen Publikum und Kabarettisten voraus. Das Kabarett ist darin sehr verwandt der Sitcom, und die Pointen beim Kabarett sind so angelegt, dass man genau weiß, wann man lachen muss. Ein Komödie von Molière oder von Nestroy lebt hingegen nicht nur davon, dass einem das Lachen im Hals stecken bleibt, dass die Verzweiflung immer wieder hervortreten kann, sondern dass durchaus Unsicherheit erzeugt wird, und das gerade in den kleinsten sprachlichen Details, was denn nun daran eigentlich lustig sein soll. Bei der Sitcom gibt's dann auch noch den laugh-stream und insofern ist das die Vollendung der Kulturindustrie. Wenn jemand nicht mitkommt, weiß er trotzdem genau, wann er lachen muss. Beim Kabarett sind die Pointen meistens so plump gesetzt, dass man auch ohne eine solche technische Maßnahme darauf hingestoßen wird. Auch weil es diesen laugh-stream nicht gibt, müssen die Pointen meistens noch täppischer sein als bei der dümmsten Sitcom, damit eben jeder weiß, dass er jetzt lachen muss. Das ist dieser Rhythmus des Kabaretts, der im Kabarett alles zu ruinieren droht und der es unmöglich macht, die Widersprüche zu entfalten. Und das ist eben der Unterschied zu einem Stück von Beckett, wo die Pointen plötzlich fehlen und man dadurch vor den Kopf gestoßen wird. Man müsste sich eigentlich ein Kabarett ohne Pointen wünschen.


Aber die Menschen lachen im Akademietheater, wenn "Das Endspiel" aufgeführt wird.


Aber ja, ich bin ja nicht gegen das Lachen, lache selber bei Beckett. Er fordert geradezu zum Lachen heraus, indem er die Pointen sabotiert, ähnlich wie Kafka. Aber es ist ein einsames Lachen, kein Lachen der Gemeinschaft, oder Gemeinsames stellt sich in diesem Lachen nur über große Distanz her. Fehlt diese Distanz, dann versucht man aus Beckett einen Kabarettisten zu machen und noch gegen das Stück Gemeinschaft herzustellen.


Ist das Katharsis?


Das wäre eine Katharsis, in der das Individuum in der Gemeinschaft der Lachenden verschwindet: Endlich nicht mehr Individuum sein, Ah, ich darf lachen - das heißt: Wir sind alle ein Masse, wir fühlen uns wohl. Ich will aber das Lachen eben nicht einfach festlegen auf diese Möglichkeit der Gemeinschaftsstiftung, obwohl es niemals ganz unabhängig davon geschieht. Es kommt darauf an, sich sehr genau anzusehen, worüber gelacht, wie gelacht wird und welches Verhältnis sich zwischen Individuum und Gesellschaft dabei herstellt.


Was trägt Bachtin zu dieser Sache bei?


Bachtin macht das nicht. Bei ihm gibt es das Lachen an sich und ihm wird eine progressive, subversive Funktion zugeschrieben. Bachtin entwirft eine Theorie, als ob er noch nie einen antisemitischen Witz gehört oder eine antisemitische Karikatur gesehen hätte. Adorno hat es hingegen versucht, sich das Lachen näher anzusehen. Er hat sogar ein "Lachseminar" an der Frankfurter Universität veranstaltet, und ein kritischer Begriff des Lachens findet sich in seinen Schriften mindestens angedeutet. Jedenfalls: die mechanische Eigendynamik des politischen Kabaretts, sei es nun mehr oder weniger politisch, wäre zu durchbrechen, damit die Leute zum Denken kommen. Da müssten sie zunächst stutzen, nicht lachen; dann vielleicht irgendwann lachen, wenn ihnen doch noch etwas aufgeht. Die Pointe wäre zu unterminieren, denn sie ist der Kitsch des Kabaretts. Aber es gehört zum seinem Wesenszug, dass man es nicht als Kitsch empfindet, sich über den Kitsch vielmehr erhaben glaubt. Wer sagt schon: "Na das ist aber ein kitschiger Kabarettist".


Weil es auf den ersten Blick sehr nüchtern ist. Nicht überladen.


Ja, weil es nüchtern und kritisch scheint und weil gelacht wird.


Assoziiert man mit dem Kitsch eher etwas Getragenes, etwas Trauriges?


Doch! Ja! Irgendwie etwas Melancholisches. Der Kitsch hat schon ein besonderes Verhältnis zum Tod. Er ist im Grunde die gemeinschaftlich organisierte Todessehnsucht. Am Tode fasziniert ihn, dass er die Widersprüche allesamt endgültig beseitigt: Reine Identität ist der Tod, wie Adorno in der "Negativen Dialektik" sagt. Gemeinschaftlich organisierte Todessehnsucht bedeutet aber nichts anderes als die allgemeine Dementierung des Glücksversprechens - des Glücks, wie es die entwickelte bürgerliche Gesellschaft den Individuen verheißt, ohne dass diese Gesellschaft es freilich als allgemeine Möglichkeit, als Möglichkeit für alle, einlösen könnte. Wer sich dem Kitsch hingibt, der will von diesem Versprechen nichts mehr hören, der hat genug mit seinem kleinen kitschigen Gegenstand, mit den Herzchen, die darauf gemalt sind; mit der Sendung "Willkommen Österreich", die allabendlich in sein Wohnzimmer strahlt; oder mit der kabarettistischen Pointe, die monoton auf das Glück pfeift. Die vollständige Dementierung ist aber noch immer die Todessehnsucht.


Ist das etwas, was man auf Grabsteinen findet. Das habe ich mir angeschaut am Zentralfriedhof. Das "Ruhe sanft" ist das nicht ein Kitsch des Todes?


Ja das ist der harmlose Kitsch, der nicht-politische Kitsch des Todes. "Es war eine Erlösung" usw. Aber die Kabarettisten machen sich bloß darüber lustig. Das wäre auch der Unterschied zu Gustav Mahler und Ödön von Horvath. Sie arbeiten auch intensiv mit dem Kitsch, stellen ihn bloß, aber machen keine Pointen daraus, sondern zeigen, wie viele Bedürfnisse in diesem Kitsch stecken und wie viel darin vom Glücksversprechen dementiert wird: sodass keiner sagen kann, er wäre frei davon, und sich doch nicht damit abfinden mag. Das ist der Schock, den die Kunst beim Publikum auslösen kann. Das Publikum fühlt sich ertappt. Ein Kabarettist, der das Einverständnis aufzukündigen bereit wäre, müsste das auch können. Helmut Qualtinger in der Darstellung, in ungleich gesteigertem Ausmaß Karl Kraus in Text und Darstellung konnten es. Bei Kraus hat es Walter Benjamin beschrieben, ich kann das jetzt nur paraphrasieren: Kraus lockt das Publikum förmlich in eine Falle; bietet eine Figur zur Identifikation dar, wobei in dem Moment, in dem man sich so richtig identifizieren kann, die Falle zuschnappt und der Einzelne im Publikum wird dem ausgeliefert, was er sonst nicht wahrhaben will. Es kann sich niemand sicher fühlen. Jenes Pointenlachen hingegen suggeriert im Grunde totale Sicherheit, dadurch entsteht diese Gemütlichkeit, diese Einigkeit, diese Gemeinschaft. Wenn man einen Text von Karl Kraus liest: schon wie die Sätze gebaut sind, erzeugen sie Unsicherheit, man weiß nicht, wo will er hinaus. Selbst wenn eine Pointe kommt, ist sie so angelegt, dass sie einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Man wird ständig in Unsicherheit "gewiegt". Es lässt sich über all diese Fragen, wie gesagt, schwer in dieser Allgemeinheit sprechen. Sinnvoller sind vergleichende Studien, wie ich sie versucht habe anzudeuten. Dazu benötigt man dann aber auch mehr Konzentration, als das bei einem Interview möglich ist.
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