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Aufstand der Privatheit

Über die Proteste im Iran.

Von Gerhard Scheit

(Aus: Jungle World Nr. 29/2009)

 
Wer wie Jürgen Elsässer eine deutsche Volksinitiative gründet, um auch in Deutschland die „Strichjungen des Finanzkapitals“ in den „Darkroom“ des Volksempfindens zu befördern, hat ein gewisses Gespür dafür, wo das Moment der Protestbewegung liegt, das nicht mit dem Regime identisch ist. „Hier wollen Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und die Strichjungen des Finanzkapitals eine Party feiern. Gut, dass Ahmidenedschads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben.“ Was die Protestierenden offenkundig eint, ist nicht die Parole, alles Private ist politisch, sondern dessen Verteidigung gegen Tugendwächter, die in den letzten Jahren immer öfter darin eingedrungen sind. In diesem Bezugspunkt liegt ihre Stärke wie ihre Schwäche. Darum wählten sie, wer ihnen als Repräsentant der Privatheit galt: Mir Hussein Moussavi, in den 80er Jahren Premierminister und für namenlose Greuel verantwortlich, hatte sich, danach als Architekt und Maler arbeitend, zurückgezogen. Seinen Erfolg im Wahlkampf verdankte er nicht zuletzt der Unterstützung durch seine Frau, eine Bildhauerin und Autorin, die aber einmal Rektorin der Frauenuniversität war und sich als Beraterin des Präsidenten Khatami an den politischen Verbrechen des Regimes beteiligte, ehe auch sie privatisierte.
Der Wahlkampf des Ehepaars versprach, daß der Familie und dem Wohnzimmer innerhalb des islamischen Systems vielleicht wieder mehr Kompetenzen zurückerobert werden könnten. Tatsächlich unterscheidet sich die Gesellschaft im Iran von der anderer, islamisch geprägter Länder dadurch, daß in ihr Säkularisierung im Privaten einmal möglich geworden war. Diese seit dem Sturz des Schah-Regimes in den eigenen vier Wänden eingekapselte Emanzipation beschreibt Fathiyeh Naghibzadeh als reale Fluchtmöglichkeit unter den Bedingungen religiöser Despotie. Während es etwa, das Verhältnis der Geschlechter betreffend, in der saudischen Bevölkerung gar keine Trennung zwischen öffentlich und privat gebe, sei im Iran die „reaktionäre Institution Familie“ als „einzige relativ staatsfreie Zone der iranischen Gesellschaft paradoxerweise zum Terrain relativer Freiheit“ geworden, oder „doch zumindest zum Kampfplatz, auf dem die Gestaltung des.Geschlechterverhältnisses ausgefochten wird“ (Die göttliche Mission der Frau, in: Der Iran, hg. v. St. Grigat u. S. D. Hartmann, 2008).
Was aber hier mit staatsfrei gemeint ist, wäre für eine „Republik“ erst noch zu bestimmen, in der von einem Staat überhaupt nur in einem oberflächigen Sinn gesprochen werden kann. Es gibt keinen einheitlichen Zwangsapparat, dafür mehrere politische Gewalten, die umso brutaler zuschlagen, als ihre Beziehungen in allen wesentlichen Dingen nicht institutionalisiert sind, sondern lediglich personal vollzogen werden. Bezeichnungen wie Republik, Demokratie oder Diktatur gehen da ins Leere, denn die Einheitlichkeit besteht nur aus Arrangements, die ad hoc unter den geistlichen Führern und den einzelnen Gruppen — Rackets wie Pasderan, Bassidschi, Hizbollah usw. — sich herstellen. Diese „Gewalten“ sind, wie David Menashri, Direktor des Tel Aviver Zentrums für Iran-Studien, schrieb, „originally spontaneous, semi-autonomous“ und „centers of power in their own right“ (Iran, A Decade of war and Revolution,1990). Institutionalisierte Regelung wird nur simuliert, checks and balances heißt hier: wechselseitiges Abtasten und personengebundene Abhängigkeitsverhältnisse; die Personen bekleiden nicht Ämter, sondern sind als Ämter verkleidet: „Wächterrat“, „Versammlung zur Erkennung der Systeminteressen“ („Schlichtungsrat“), „Oberster Rat der nationalen Sicherheit“, „Expertenrat“, „Exekutivkomitee der Wahlen“, „zentrale Beobachtungskommission“ etc. Teilung der Gewalt und Vermittlungsformen von Herrschaft existieren nicht wirklich, solange es kein auf abstrakte Gleichheit der Individuen beruhendes Recht gibt, auf das jedwede Kontrolle der geteilten Gewalten sich beziehen muß.
Gerade in der jetzigen Situation erweist sich auch die Bezeichnung „Mullahregime“ als besonders fragwürdig, da doch auch die Mullahs nicht die Herrn sind, sondern eine rivalisierende Gruppe bilden neben anderen und ihrerseits in rivalisierende Gruppen zerfallen. Gemeinsam ist allen Rackets einerseits nur der Islam, der keine Vermittlung zuläßt, andererseits die Einkünfte aus den Erdgas- und Erdölvorkommen, die allen wahrhaft Gläubigen vermittelt werden sollen. Das Machtzentrum selber jedoch kann immer wieder verschoben, in eine jeweils andere Gruppe oder Instanz verlegt werden, ohne die so entmachteten Organisationen aufzulösen. So überschneiden sich die Kompetenzen der Gruppen und Instanzen in der real-existierenden Islamischen Republik kaum anders als im nicht-existierenden Palästinenserstaat die Geheimdienst-, Partei- und Armeefraktionen, und in mancher Hinsicht erinnert die Konfrontation von Moussavi und Ahmadinejad an die von Fatah und Hamas.
Wo die Macht sich gerade befindet, und damit: was der Wille Allahs sein soll, muß sich in den direkten Konfrontationen der einzelnen Führer und Rackets immer erst erweisen. So kommt es keineswegs nur im Ernstfall, also in der großen Staatskrise, auf den Absolutheitsanspruch des göttlichen Willens an, in jeder kleinen politischen Entscheidung des Alltags steht vielmehr die Herrschaft schon auf dem Spiel; es regiert immer der Ausnahmezustand, der alles erlaubt. Jederzeit vermag die unmittelbare Androhung, die durch kein Recht verzögerte und gebrochene Anwendung der Gewalt in den Konflikten den Ausschlag zu geben, wie eben auf offener Straße eine unverschleierte Frau oder ein homosexuelles Paar fortwährend damit rechnen muß, von einem mehr oder weniger zufällig anwesenden Kommando überfallen zu werden. Es kommt immer nur darauf an, wer gerade vor Ort ist und über die nötige Gewalt verfügt, mit jenem Absolutheitsanspruch des göttlichen Willens gewappnet in irgendeiner Frage, in irgendeinem Konflikt loszuschlagen.
Darum bleibt den Individuen, die andere Vorstellungen vom Zusammenleben haben als Ehebrecherinnen zu steinigen oder Homosexuelle zu erhängen und sich also mit keiner dieser Banden und Führer identifizieren, scheinbar allein der Rückzug ins Private. Von dort aus erfolgte nun aber der erste große Vorstoß gegen das islamische Universum der Rackets, der Versuch, die Straße zu erobern. Man wählte zunächst nur jenen privatisierenden Politiker; als das fehlschlug, griff man zurück auf die Medienöffentlichkeit der Privatheit, auf Twitter und Facebook, als Basis für den Ausbruch aus den Wohnzimmern. Andere Organisationsformen bildeten sich offenkundig nicht. Mit den spontanen Demonstrationen wollte man sich erstmals in großem Maßstab gegen die Rackets behaupten, die wiederum taten, was sie immer tun: über jeden herzufallen, der glaubt, sich auf der Straße wie im Wohnzimmer benehmen zu können.
Der Vorstoß in den öffentlichen Raum war aber nur möglich, weil offenbar das Arrangement in letzter Zeit schwieriger geworden ist und die Rivalität der einzelnen Banden, die allesamt von der Erdölrente leben, sich zuspitzte, nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der fallenden Ölpreise. Der „oberste geistliche Führer“ vermag nicht mehr über ihnen zu schweben, sondern ergreift selbst Partei — herausgefordert letztlich von Rafsanjani, dem früheren Staatspräsidenten, der ebenso ein hoher Geistlicher und Schüler von Khomeini ist, aber als Großunternehmer eine gewisse Unabhängigkeit behaupten kann. Nach seiner Wahlniederlage gegen den Pasderan- und Bassiji-Mann Ahmadinejad vor vier Jahren meldete er sich zurück, als er vor zwei Jahren zum Vorsitzenden des Expertenrats gewählt wurde, um jetzt Moussavi zu unterstützen. Worin beide mit allen anderen Rivalen im Kern jedoch einig sind, zeigen Rafsanjanis antisemitische Hetzreden gegen den Zionismus als ein „Gebilde“, das „sogar aus der westlichen Welt ausgestoßen“ worden sei; wie „die Zionisten ihr Geld und ihre Medien einsetzten“, zwinge die jeweiligen Machthaber dazu, „gegen sie gewaltsame und unmenschliche Mittel anzuwenden, so wie es einst Hitler getan hatte“ (vgl. haGalil, 8. 2. 2002).
Erst wenn der Aufstand der Privatheit diese Einigkeit sprengte und gegen sie die Solidarität mit Israel übte, wäre die Errichtung eines säkularen Staats möglich. Umso erschreckender, was vereinzelt auf Demonstrationen von Exiliranern zu hören war: daß der Iran jetzt zu Palästina werde, das Mullahregime wie die israelischen Besatzer agiere. Einen düsteren Eindruck machen auch die Allahu Akbar-Rufe von den Dächern der Wohnhäuser, die von der Parole „Tod dem Diktator“ nicht übertönt werden — einst waren die im Pariser Exil aufgenommenen Reden Khomeinis mit Lautsprechern auf den Dächern abgespielt worden. Und die trostloseste Argumentation dafür, daß der Aufstand glücken könnte, ist die, ihn mit der „Revolution“ von 1979 zu vergleichen. Vergleichbar ist die Situation nur insofern, als die Gewalt bald wieder jene äußersten Formen annehmen könnte, womit sich schon einmal die islamischen Rackets politisch durchsetzen konnten, ehe sie dann durch den Krieg mit dem Irak, das „Geschenk Gottes“ (Khomeini), sämtliche gesellschaftlichen Bereiche gegen Säkularisierung und Vernunft imprägnierten. Heute wartet ein anderes Geschenk Gottes: das Atomwaffenprogramm, für das der „Dialog“, den der Westen anbietet, ein schönes Geschenkpapier abgibt. David Menashri glaubt, daß die jüngsten Entwicklungen am „nationalen Konsens“ der islamischen Republik, Atommacht zu werden, nichts ändern werden. Von einer Schwächung des Regimes, wie alle Kommentatoren sie sehen, ist tatsächlich nicht automatisch auszugehen. Was heißt Schwächung, wenn der innere Zerfall die äußere Aggression steigert? Das Scheitern des Aufstands droht die apokalyptische Politik zu beschleunigen. Der exiliranische Publizist Hassan Daioleslam geht davon aus, daß jetzt mit Hochdruck das Atomwaffenprogramm vorangetrieben werde.
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