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Redebeitrag von Café Critique
zur Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht

am 9. 11. 2006 in der Zirkusgasse in Wien

von Alex Gruber

 
Am heutigen 9. November findet in Wien eine Demonstration gegen Faschismus und Rassismus statt. Die zu dieser Demonstration aufrufenden Gruppen tun sich normalerweise dadurch hervor, dass sie bedingungslose Solidarität mit der Hamas, mit Mahmud Ahmadinedschad und anderen Israelfeinden und Judenhassern einklagen. So waren die letzten Demonstrationen dieser Gruppen von einem Meer von Hisbollah-Fahnen gekennzeichnet, sowie dadurch, dass auf diesen Demos unumwunden zur Zerstörung des jüdischen Staates aufgerufen wurde. Dass auch die Erinnerung an die Reichspogromnacht nur ein äußerlicher Anlass für die heutige Demonstration ist, wird allein daran ersichtlich, dass diese in gerade mal zwei Zeilen des Aufrufes überhaupt Erwähnung findet. So verschwindend gering die Bereitschaft ist, sich mit der Geschichte der Vernichtung des europäischen Judentums auseinander zu setzen, so eindeutig ist, dass die Solidarität mit den heute von Antisemitismus Bedrohten für die Veranstalter der Demonstration überhaupt kein Thema ist. Der zeitgemäße Antisemitismus, der sich vor allem als Antizionismus ausagiert, findet nicht die geringste Erwähnung - was auch nicht weiter verwundern kann bei Gruppen, welche die "soziale Befreiung" mit der Zerstörung Israels gleichsetzen.
Stattdessen wird das ewig gleiche Thema verhandelt: Die fehlende Perspektive für die unterdrückten Massen und die Zu-kurz-gekommen-sich-Fühlenden, welche in diesen den berechtigten Wunsch nach Widerstand und Revolte wecke. Gleichzeitig werden diese Unterdrückten von jeder Verantwortung für die Form ihres "Widerstandes" freigesprochen. Sie werden vielmehr zu ewigen, gutgläubigen Opfern erklärt. Als solche schlügen sie in ihrem berechtigten Zorn auf das "unterdrückerische System" leider manchmal etwas über die Stränge und ließen sich von rechten Demagogen ein "klares, wenn auch falsches Feinbild" anbieten.
Dieselbe Rationalisierung, welche die Linke stets in Bezug auf die islamistischen Selbstmordrackets im Munde führt, prägt also auch ihren Umgang mit autochthonen Rassisten und Antisemiten. Diese wie jene seien das prinzipiell gute ewige Opfer dunkler Mächte, gegen die es sich zur Wehr zu setzen gelte. In diesem Kampf gegen Erniedrigung, Demütigung und Ausbeutung seien sie bedingungslos zu unterstützen, da er ein objektiv emanzipatorischer sei, wie regressiv auch immer er sich äußern möge. So wie die Selbstmordattentate immer nur als verständliche Notwehr gegen die "zionistischen Verbrechen" gepriesen werden, so wird der nationale Wahn autochthoner Österreicherinnen und Österreicher als ebenso naturwüchsige Reaktion auf den Sozialabbau und die damit einhergehende Arbeitslosigkeit entschuldigt. Eine Linke, die vom stummen Zwang der Verhältnisse nichts wissen will und folglich die Gesellschaft auch nicht als objektiven Zwangszusammenhang begreifen kann, kann die Krisenhaftigkeit der Gesellschaft immer nur als niederträchtige Machenschaft bewusster Akteure interpretieren und produziert zwangsläufig Verschwörungstheorie.
Dass die Verfechter eines solchen Weltbildes - speziell in den postnazistischen Gesellschaften - geradezu naturwüchsig zu Feinden des jüdischen Staates werden müssen, liegt auf der Hand. Der Israelhass ist keine kontingente Zutat zu einem prinzipiell an Emanzipation orientierten Bewusstsein, sondern gründet in der Sache selbst. Der jüdische Staat, der als Reaktion auf die Shoa gegründet wurde - die einzige gesellschaftliche Konsequenz, die nicht in bloßer Solidarität mit toten Juden besteht - dieser jüdische Staat ist permanenter Stachel im Fleisch der Freunde unterdrückter Völker und Klassen. Ist es doch die von Israel wachgehaltene Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums, welche die große Lüge, die das linke Weltbild charakterisiert, als eben solche und durch nichts gedeckte Unterstellung denunziert: Die Überzeugung, dass die Unterdrückten prinzipiell gut seien und die Revolutionsbestrebungen deswegen unmittelbar mit eben diesen Massen Politik machen könnten.
Der Nationalsozialismus hat das Gegenteil bewiesen. Er hat den Beleg erbracht, dass die Kapital und Staat Unterworfenen in der Krise sich die katastrophischen und destruktiven Tendenzen dieser Gesellschaft subjektiv zu eigen machen können - und dass sie diese pathologische Krisenlösung an den Jüdinnen und Juden ausagieren, was letzten Endes in der Vernichtung um ihrer selbst willen resultiert.
Diese untergründig gewusste Tatsache muss verdrängt werden, damit man in den postnazistischen Gesellschaften weiterhin der Lösung der sozialen Frage frönen kann, als wäre nichts geschehen. Statt sich der Tatsache der massenhaften Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern am Vernichtungsfeldzug gegen die Juden zu stellen, statt zu reflektieren, was die negative Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft in das Kollektiv der Volksgemeinschaft auch für die Gesellschaft nach dem Nationalsozialismus bedeutet, statt sich also der Katastrophe zu stellen, die Auschwitz darstellt, und diese Erfahrung zum Begriff zu sublimieren, muss die Barbarei des Nationalsozialismus verdrängt und in ein Außen projiziert werden, damit klar ist, dass die Unterdrückten nicht das geringste damit zu tun haben können.
Diese Projektion liegt einerseits den unendlichen Neuauflagen der notorisch falschen linken Faschismustheorien zugrunde, wie andrerseits der Denunzierung Israels als dem Nationalsozialismus von heute. So kann dann auch der Widerstand gegen den "War on Terror" als Konsequenz aus der Reichspogromnacht gefasst werden, wie es in dem gemeinsamen Aufruf zur heutigen Antifa-Demo geschieht. Die Selbstverteidigung Israels wird so zur Nachfolgerin der nationalsozialistischen Vernichtung erklärt, wie die Palästinenser im Besonderen und die Moslems im Allgemeinen zu den "Juden von heute". Dies gipfelt darin, dass just heute, am Tag der Reichspogromnacht, von einer trotzkistischen Gruppierung der Film "Paradise Now" gezeigt wird: Jener Film, der ein einziges Einfühlen in antisemitische Mörder darstellt; jener Film, der ihre Morde als "Verzweiflungstaten" verharmlost und ihre Anschläge als legitimen Widerstand gegen die israelische Besatzung rechtfertigt.
So kommt die linke Vergangenheitsbewältigung an ihr Ende: Vom Nationalsozialismus wird nur noch gesprochen, um die Juden und ihren Staat als die wahren Nazis von heute anzuprangern und den Kampf der palästinensischen Selbstmordrackets als die legitime Lehre aus der Vernichtung des europäischen Judentums anzupreisen.
Was früher "Judenfrage" hieß - samt seiner Verquickung mit der bei Linken so beliebten "sozialen Frage" -, das ist für die heutige Linke "das Problem des Zionismus". Nicht nur wird die "Befreiung" des Nahen Ostens an die Vernichtung Israels geknüpft, wenn etwa im Umfeld der Demo-Organisatoren verkündet wird, der Zionismus sei der "Hauptfeind der Völker", dessen Zerstörung "der einzige Weg zur Gerechtigkeit" sei. Nein - auch die Lösung der sozialen Frage geht hier eine unlösbare Verbindung mit dem Kampf gegen den jüdischen Staat ein. Das zeigt sich auch und nicht zuletzt dann, wenn diese Linke gegen Faschismus und Rassismus auf die Straße geht.
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